Favoriten

(AT 2024; Regie: Ruth Beckermann)

Miteinander lernen

Sie heißen unter anderem Fatima, Mohammed, Alper, Majeda, Arian und Nerjiss und sie besuchen eine Grundschule im Wiener Bezirk Favoriten, wo der Anteil an Einwanderern besonders hoch ist. Ihre Eltern stammen aus der Türkei, aus Syrien, Albanien oder Mazedonien und arbeiten auf dem Bau, als Dienstleister, in der Pflege und im Haushalt. Das erzählen die Schülerinnen und Schüler im Klassengespräch ihrer engagierten Lehrerin İlkay Idiskut, die selbst aus einer Migrantenfamilie stammt und deshalb besonders sensibilisiert ist für die Sorgen und Nöte ihrer Eleven. Diese ringen nämlich vor allem mit der deutschen Sprache und dem Lernstress, der sich daraus für das Verständnis in den anderen Fächern ergibt. Nur wenn sie zusammen mit ihrer Lehrerin ausgelassen tanzen, wen sie Tischfußball oder mit Puppen spielen, scheinen die sprachlichen, kulturellen und sozialen Barrieren eine Zeitlang aufgehoben zu sein. İlkay Idiskut sorgt mit diesen Erholungsphasen immer wieder für einen Ausgleich zum anstrengenden Unterricht.

Zwischen dem Herbst 2020 und dem Frühjahr 2023 und also von der zweiten bis zur vierten Klasse hat die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann die 7- bis dann 10-jährigen Kinder filmisch begleitet und den Unterricht in Ausschnitten dokumentiert. In ihrem Film mit dem doppeldeutigen Titel „Favoriten“ zeigt sie als teilnehmende Beobachterin und damit aus nächster, teils intimer Nähe das ganze Spektrum schulischer Aktivitäten und verzichtet dabei auf Kommentare und Interviews. Neben Schreiben, Lesen und Rechnen, neben Biologie- und Schwimmunterricht stehen Entspannungsübungen, besagte Ausgleichsspiele und Gespräche über kulturelle Unterschiede, über gegenwärtige Kriege oder über die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Dabei werden Prägungen, Anpassungs- und Integrationsschwierigkeiten vermittelt. Einmal besuchen die Kinder eine Moschee, wo sie ganz selbstverständlich interessiert und vertraulich mit dem Imam kooperieren; ein anderes Mal besichtigen sie den reich verzierten Stephansdom, der allen gehöre, wie der Priester wiederholt betont, obwohl oder gerade weil fast keines der Kinder einen christlichen Background hat. In anderen Szenen führt die Lehrerin Eltern- und Schülergespräche oder schlichtet geduldig und mit natürlicher Autorität Streit und Konflikte.

Gerade in diesen Passagen zeigt der Film den Wert pädagogischer Weitsicht und kultureller Einfühlung durch die Persönlichkeit der sehr stark involvierten und Anteil nehmenden Lehrerin. Daneben wird über den lagen Beobachtungszeitraum hinweg aber auch die persönliche Entwicklung einzelner Kinder sichtbar, wobei Erfolg und Enttäuschung oft nah beieinander liegen. Vor dem Übergang an eine weiterführende Schule lässt İlkay Idiskut die Kinder ihre Berufswünsche zeichnerisch gestalten, auch wenn es diese Träume und Hoffnungen angesichts der gesellschaftlichen Realität später mitunter schwer haben werden.

„Favoriten“ spiegelt diese Wirklichkeit und deutet dabei auch auf systemische Mängel, wenn beispielsweise notwendige Sprachförderung ersatzlos entfällt oder Fachkräfte an der Schule fehlen. Ruth Beckermanns ebenso aufschlussreicher wie notwendiger Film, der in der Tradition von Nicolas Philiberts „Sein und Haben“ (2002) und Maria Speths „Herr Bachmann und seine Klasse“ (2021) steht, zeigt Schule aber vor allem als Keimzelle des Lernens, des sozialen Zusammenlebens und nicht zuletzt des emotionalen Miteinanders. Von hier aus könnte vieles anders und besser werden, würden sich die politisch Verantwortlichen zu Reformen entschließen.

Ein Interview mit Regisseurin Ruth Beckermann findet sich hier.

Favoriten
Österreich 2024 - 123 min.
Regie: Ruth Beckermann - Drehbuch: Ruth Beckermann, Elisabeth Menasse - Bildgestaltung: Johannes Hammel - Montage: Dieter Pichler - Verleih: Grandfilm - Besetzung: -
Kinostart (D): 19.09.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt31015543/
Foto: © Grandfilm