Crossing: Auf der Suche nach Tekla

(SE/DK/TR/GE 2024; Regie: Levan Akin)

Austausch und Zusammenhalt

Eine ältere Frau geht nachdenklich einen Strand der georgischen Hafenstadt Batumi entlang, wo sie schließlich an der Tür einer ärmlichen Behausung anklopft. Darin tobt mal wieder ein heftiger Familienstreit um nichts. Der Umgangston ist rau und aggressiv, während im Hintergrund Meeresrauschen zu hören ist. In einer langen, dynamischen Plansequenz sind die Figuren aufeinander bezogen und zugleich zueinander auf Distanz gehalten. Doch Levan Akin kultiviert dieses Stilmittel im Verlauf seines Films „Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ nicht weiter. Stattdessen schält er aus der Gruppe eine Zweierbeziehung heraus. Die pensionierte Geschichtslehrerin Lia (Mzia Arabuli), eine resolute, zielstrebige Frau, will den letzten Willen ihrer verstorbenen Schwester erfüllen und sich auf die Suche nach deren verschwundener Tochter Tekla begeben. Die junge Transfrau, die offensichtlich als Prostituierte arbeitet, ist einst vor der Diskriminierung durch ihre Umgebung ins Ausland geflohen. Der ebenfalls junge, etwa ungehobelte Achi (Lucas Kankava) behauptet, sie sei in Istanbul zu finden und drängt sich Lia als Reisebegleiter auf.

Achi will weg aus beengenden und bedrückenden Verhältnissen, doch was ihn umtreibt, bleibt unklar. In Lia wird er im Verlauf der Reise, die eine Suche ist und die vor allem als Vorwand für verschiedene Grenzübertritte fungiert, eine Ersatzmutter finden. Auf ihrer gemeinsamen Busfahrt entlang der Schwarzmeerküste sind sie allerdings zunächst ein ungleiches Paar, das nicht richtig kooperieren oder zueinander finden will. Bei ihrer Ankunft in der türkischen Metropole am Bosporus ändert sich erneut der Erzählstil des Films. Nachdem die Kamera in einer längeren, herausgehobenen Sequenz scheinbar auf der Suche nach Orientierung ein Eigenleben führt, wechselt sie die Perspektive. In parallelen Handlungen treten weitere Figuren auf den Plan, Nebenschauplätze rücken in den Blick, und das zunächst zielgerichtete Roadmovie teilt sich auf in verschiedene Bewegungsrichtungen, die wechselnde Begegnungen hervorbringen. Neben zwei Straßenkindern ist es vor allem die Transaktivistin Evrim (Deniz Dumanli), die für die beiden Suchenden integrativ wirkt.

Levan Akin, ein schwedischer Regisseur georgischer Abstammung, der mit seinem Film „Als wir tanzten“ einen Achtungserfolg feierte, taucht mit seinen Protagonisten und einem dokumentarischen Blick tief ein in den Mikrokosmos unbekannter, kaum gesehener Milieus. Eine faszinierende Fremde und unverhoffte Begegnungen konfrontieren Lia und Achi jeweils mit sich selbst und mit mühsam unterdrückten Vorurteilen. Indem Akin das Neben- und Ineinander von Kulturen, Sprachen und Stilen als lebendigen Austausch zeigt, befördert er auch das Verständnis und den Zusammenhalt seiner Figuren. Er habe eine „Hommage an Empathie und Solidarität“ gestalten wollen, hat der Filmemacher dazu gesagt. Seine Außenseiter-Helden sind deshalb freundlich und zugewandt, auch wenn unterschwellig die Konflikte brodeln.

Während der Film im Rahmen einer einfachen Geschichte die Bewegung und – auch im übertragenen Sinne – das Unterwegssein zu seinem erzählerischen Prinzip erhebt, bleiben Figurenzeichnung und Hintergründe leider etwas blass. Am Schluss wechselt „Crossing“ dann in den Konjunktiv der Möglichkeitsform, wo sich Zufall und Wunschvorstellung begegnen. Vielleicht ist das eine erzählerische Verlegenheitslösung; die Suche als Handlungsprinzip und als Kraft der Veränderung erhält hier aber eine deutlich lebenspraktische, auf Offenheit und Verständigung zielende Dimension.

Crossing: Auf der Suche nach Tekla
(Crossing)
Schweden/Dänemark/Türkei/Georgien 2024 - 105 min.
Regie: Levan Akin - Drehbuch: Levan Akin - Produktion: Mathilde Dedye - Bildgestaltung: Lisabi Fridell - Montage: Levan Akin, Emma Lagrelius - Verleih: MUBI - FSK: ab 12 - Besetzung: Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanli
Kinostart (D): 18.07.2024

DVD-Starttermin (D): 04.10.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt27417166/
Foto: © MUBI