Eine gewaltige Hochhauslandschaft wird illuminiert von farbigem Licht und hellen Strahlen. Über dem Stadion beleuchtet ein gigantisches Feuerwerk den nächtlichen Himmel, auf den ein Laser die Symbole des „Sozialismus mit chinesischen Werten“ projiziert. Die Kommunistische Partei feiert ihr 100. Jubiläum und die Errungenschaft, China zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt gemacht zu haben. Sicherheit, Zufriedenheit und politische Stabilität seien garantiert, müssten aber nicht nur gegen ausländische Feinde, sondern auch gegen die Gefahren im eigenen Land verteidigt werden. Nicht zuletzt deshalb gibt es im Reich der Mitte schon seit vielen Jahren ein immer umfangreicher und rigider werdendes Überwachungs- und Kontrollsystem, mit dem Daten gesammelt und die „Zuverlässigkeit“ des Bürgers überprüft wird. Zu dieser „Smart Technology“ gehören Gesichtserkennungskameras im öffentlichen Raum, die „Emotionsanalyse“ in Schulen oder auch das sogenannte „Sharp Eyes Project“, bei dem die Bilder von Überwachungskameras über das Fernsehen ausgestrahlt werden.
Jialing Zhang zeigt in ihrem zum Teil heimlich gedrehten Film „Total Trust“ die erschreckenden Ausmaße dieser bereits sehr weit fortgeschrittenen Überwachungstechnologie, die immer tiefer in die Privatsphäre der Menschen eindringt und dadurch deren Verhalten normiert und steuert. Bilder gleichförmiger Einheitsarchitekturen korrespondieren äußerlich mit dieser Entindividualisierung. Tatsächlich kontrollieren sich die Bürger unter den Bedingungen riesiger Datensammlungen immer häufiger gegenseitig. Das wiederum wird gefördert durch ein Programm namens „Social Credit Scoring“: Pluspunkte erhält, wer sich regelkonform verhält; bestraft werden diejenigen, die davon abweichen, auch wenn sie eigentlich nur ganz normal ihre Arbeit tun oder versuchen, grundlegende Rechte zu verteidigen.
Zu diesen vermeintlichen „Abweichlern“, deren Fälle in „Total Trust“ thematisiert und dokumentiert werden, gehören zwei Anwälte und eine Journalistin. „Heute ist Schreiben ein Verbrechen“, sagt Sophia Xuequin Huang, die mit ihrer Arbeit im Zuge der MeToo-Debatte ins Visier des Überwachungsstaates geriet und sich mittlerweile wie „ein Tier im Käfig“ fühlt. Der Anwalt Weiping Chang, der sie verteidigte und ansonsten Mandanten in Entschädigungsverfahren oder bei Diskriminierung am Arbeitsplatz vertritt, wurde wegen „Anstiftung zum Umsturz“ verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Ebenso erging es Quanzhang Wang, der sich für die Rechte der Bürger einsetzt.
Die chinesische, in den USA lebende Filmemacherin begleitet vor allem den Kampf der auf sich gestellten Frauen in einem beschwerlichen Alltag voller Hürden und Einschränkungen, die immer mehr zu einer „verinnerlichten Zensur“ führen. Dabei setzt Jialing Zhang teils fragwürdige „dokumentarische“ Mittel ein, indem sie Emotionen inszeniert und damit in gewisser Weise instrumentalisiert; was gerade bei diesem nicht zuletzt „medialen“ Thema problematisch ist. Auch bleiben viele Fragen bezüglich ihrer filmischen Quellen und der jeweiligen Drehsituation offen, da diese nicht unwesentlich Ereignisse modelliert. Trotzdem ist „Total Trust“ ein wichtiger Film über die aktuelle Brisanz einer beunruhigend voranschreitenden Überwachungsgesellschaft, deren Gefahren auch westlichen Demokratien drohen könnten.