Erica Jong – Breaking the Wall

(CH 2022; Regie: Kaspar Kasics)

Emanzipation durch Schreiben

Am 4. April 2020 sind die Straßen und Häuserschluchten von New York City leer und verlassen. Die großflächigen Reklamen an den Wänden der Hochhäuser wirken irgendwie verloren und noch sinnloser als sonst. Eine unheimliche Stille liegt über der Stadt. In diese Abwesenheit hinein sagt eine Stimme am Telefon: „Es ist einfach verrückt. Wie in Albert Camus‘ Roman ‚Die Pest‘.“ Die berühmte Schriftstellerin Erica Jong beschreibt gegenüber dem Filmemacher Kaspar Kasics ihr „Gefühl der Isolation“, das sich unter den Bedingungen des Covid-Lockdowns gewissermaßen verdoppelt. Der Schweizer Regisseur am anderen Ende der Leitung, der vom unerschütterlichen Selbstbewusstsein der Autorin und Feministin beeindruckt ist, fragt sich wiederum, wie es mit den im Februar begonnenen Dreharbeiten weitergehen soll. Sein Film „Erica Jong – Breaking the Wall“ findet in den wiederholten Bildern der leeren Großstadtstraßen gewissermaßen einen Resonanzraum für die Selbstauskünfte der Schriftstellerin. Erst Monate später, ablesbar auch am Wechsel der Jahreszeiten, beleben sich die Straßen wieder mit Menschen.

Es ist nicht leicht auszumachen, ob die vielen Gespräche und Familienszenen aus Jongs geschmackvoller, mit vielen Büchern und Kunstobjekten eingerichteter Wohnung noch vor oder nach dem Lockdown dokumentiert wurden. Sie gewähren jedenfalls einen sehr intimen und persönlichen Einblick in den Arbeitsalltag, das Leben und die Gedankenwelt der streitbaren Schriftstellerin, die von ihrem Schreibtisch aus einen Panoramablick über die Skyline von New York genießt. Hier arbeitet die am 26. März 1942 in eine jüdische Künstlerfamilie geborene Jong zusammen mit einer Assistentin gerade an ihren Memoiren. Andere Szenen zeigen sie mit ihren Enkelkindern, ihrem vierten Ehemann Ken Burrows, mit dem sie seit rund dreißig Jahren glücklich verheiratet ist, bei gymnastischen Übungen mit einem privaten Fitnesscoach oder auch bei einer Party. Im gedanklichen Mittelpunkt des Films stehen allerdings ihre Überlegungen zur weiblichen Selbstbestimmung und wie diese Niederschlag in ihren Büchern gefunden haben.

Vor allem ihr skandalumwitterter Erfolgsroman „Angst vorm Fliegen“, mit dem Erica Jong 1973 debütierte und in dem sie auch Erfahrungen aus ihrer Zeit in Heidelberg (1966 bis 1969) verarbeitet hat, wird zum stetigen Bezugspunkt. Während ihr der befreundete Schriftsteller Henry Miller bestätigt, sie habe mit diesem Roman die Frauen befreit und setze sich für sie ein, spricht sie in TV-Talkshows über weibliche Kreativität und über das sexuelle Begehren von Frauen, deren Gleichberechtigung nur schleppend vorangehe. „Ich wollte die Welt verändern“, sagt sie einmal mit einem Anflug von Ernüchterung. Trotzdem gibt sie, die als „Stimme des Feminismus“ gilt, den Kampf nicht verloren. Gerade im Schreiben erschaffe die Phantasie das Leben neu und erzeuge damit auch die Ahnung einer anderen Wirklichkeit. Worte verändern Menschen, ist die Schriftstellerin überzeugt. Nur indem man die Wahrheit über das Leben erzähle, gelange man zur Freiheit. Um diesem „utopischen Traum“ näher zu kommen, hat Erica Jong in ihrer Heimatstadt ein Schreibzentrum für junge Frauen gegründet.

Erica Jong – Breaking the wall
Schweiz 2022 - 96 min.
Regie: Kaspar Kasics - Drehbuch: Kaspar Kasics - Produktion: Sereina Gabathuler, Werner Swiss - Bildgestaltung: Isabelle Casez, Gabriel Lobos, Christine A Maier, James Carman - Montage: Isabel Meier, Christiane Schniebe - Musik: Roger Eno, Brian Eno, Stephan Konken - Verleih: Rise and Shine Cinema - Besetzung: -
Kinostart (D): 23.03.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt23545940/
Foto: © Rise and Shine Cinema