Drei junge Frauen albern herum, machen Blödsinn. Sie verkleiden sich, spielen Rollen und werfen sich für Fotos in Pose. Sie verschleiern sich und finden das sexy. Schließlich singen sie zum Playback des R.E.M.-Klassikers „Losing my religion“ und performen dazu im Hidschab. Das Handy-Video, das dabei entsteht, verbreitet sich bald im Internet und sorgt für Gesprächsstoff in den Communities. Machen sich die aus einem Wiener Vorort stammenden drei Freundinnen, die kurz vor dem Abitur stehen, hier etwa lustig über verschleierte Frauen und die islamische Kultur? Oder handelt es sich nur um einen arglosen, unbedachten Spaß beziehungsweise um ein Spiel mit Zeichen, wie es auf den Kanälen der Internet-Generation üblich ist? Zumindest bei Yesmin (Melina Benli) trifft das Video auch einen empfindlichen Nerv ihrer Identität. Denn ihre kurdische Familie stammt aus dem Irak. Zwar gibt sich ihr Vater Omar (Omar Ayub) liberal und tolerant, aber ihre gläubige, konservativ eingestellte Mutter Awini (Awini Barwari) empfindet das Video als respektlos.
Abrupt, unvermittelt und sehr gegenwärtig geht es zu in Kurdwin Ayubs Spielfilmdebüt „Sonne“. Die Ästhetik ihres mit Laien besetzten Films orientiert sich an den dokumentarischen Formaten und formalen Spielereien sozialer Medien und Plattformen und erinnert mit ihrer vorgeblichen Authentizität an das Reality-TV früherer Jahre. Ständig wechselt der disparate Bilderstrom zwischen Handy-Inhalten, Online-Plattformen und semidokumentarischem Realfilm. Alles, was auf der Handlungsebene geschieht, wird audiovisuell dokumentiert und geteilt. Das Surfen auf der Oberfläche der Belanglosigkeiten ist dabei so dominant, dass dadurch zwar eine zweite Realitätsebene entsteht, die angeblichen Identitätskonflikte aber ziemlich unterbelichtet bleiben. Im szenischen Overkill einer inflationären Bilderproduktion verflüchtigen sich mögliche Handlung, Dramaturgie und vorgeblicher Inhalt. Dafür entsteht ein mehr oder weniger aufschlussreiches Portait einer Jugend, die sich über mediale Banalitäten und einen unkritischen, von der Regisseurin offensichtlich affirmativ geteilten Medienkonsum definiert.
Entsprechend verliert sich auch Kurdwin Ayubs viel gelobter Film in den oberflächlichen Phänomenen jugendlichen Erlebens. Zwar haben „die drei fleißigen Mädchen“, zu denen noch Bella (Law Wallner) und Nati (Maya Wopienka) gehören, Auftritte bei traditionellen kurdischen Feiern, doch das führt weder zu Diskussionen noch zu einem Zusammenhang. In einer nicht näher definierten Talkshow erklären die selbstbewussten Protagonistinnen, dass sie mit den „richtigen Dingen“ „junge Mädchen inspirieren“ und dabei „Hoffnung und Stärke“ vermitteln wollen. Leider ist davon im medialen Chaos von Ayubs Film selbst wenig zu spüren. Allenfalls ihr sporadischer Blick auf das konfliktreiche Innenleben von Yesmins Familie, in der die Eltern permanent streiten, der jüngere Bruder auf Abwege gerät und die Mutter unter traumatischen Erfahrungen leidet, lässt erahnen, wie schwierig der Spagat zwischen kulturellen Traditionen und digitaler Moderne ist. Was dabei „normal“ sei, wie der Vater einmal meint, ist längst nicht klar. Und so sorgt die Regisseurin, die selbst in einer kurdischen Familie in Wien aufgewachsen ist, zwar für die sehr unterschiedlichen Selbstermächtigungen ihrer Heldinnen. Deren Motive und Motivationen bleiben aber eher konfus und unentwickelt.