Seit 2015 wird jedes Jahr am 2. August mit dem Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma an die systematische Ermordung einer Minderheit erinnert, die lange für dieses Recht auf Würde und Anerkennung kämpfen musste. Als im vergangenen Jahr Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma, an der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau für sein langjähriges Engagement mit der bedeutenden Auszeichnung „Licht der Erinnerung“ geehrt wurde, lagen Schmerz und Genugtuung nahe beieinander. Denn Romani Rose hat selbst den Verlust von 13 Familienangehörigen zu beklagen, die von den Nazis ermordet wurden. Folgerichtig beginnt Peter Nestlers bewegender, sehr konzentrierter Film „Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“ auf diesem „größten Friedhof für unsere Minderheit“, dessen Ausmaße mit einer Totale ins Bild gesetzt werden.
Diese Dimension der Vernichtung bildet gewissermaßen den stets präsenten Hintergrund, vor dem Rose in langen, ungeschnittenen Interviewsequenzen wesentliche Episoden aus seiner Familiengeschichte erzählt. So wird etwa sein Großvater Anton Rose, ein „Pionier des Kinos“, der in den 1920er Jahren mit seinem Wanderkino den Stummfilm in die Dörfer brachte, aus rassistischen Gründen 1936 aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen und später deportiert. Romani Roses Vater Oskar wiederum, der als guter Katholik vergeblich versucht, beim Münchner Kardinal Michael von Faulhaber den Schutz für die Minderheit zu erbitten, initiiert später die Befreiung seines Bruders Vinzenz aus dem KZ in Neckarelz. Dieser hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine schreckliche Odyssee durch mehrere Lager hinter sich. Peter Nestler ergänzt und vertieft diese Erinnerungen in einer genauen Montage mit Dokumenten aus Archiven sowie mit teils schockierenden Erfahrungsberichten von Zeitzeugen.
Wenn der renommierte Dokumentarfilmregisseur von einem verschlossenen Tor auf einen Wachturm und von dort auf eine Totale des Lagers in Auschwitz schneidet, thematisiert er in wenigen Bildern den Zusammenhang zwischen dem Sinti und Roma verweigerten Schutz und ihrer Vernichtung. Das Trauma der diskriminierenden Ausgrenzung sowie Ignoranz und Unrecht, dem die Minderheit weiterhin auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft ausgesetzt ist, bilden den zweiten Strang dieses wichtigen und sehr sehenswerten Films. In diesem Zusammenhang stehen auch das vielfältige Engagement und die Aktionen von Romani Rose und seinen bürgerrechtlichen Mitstreitern, die sich vehement gegen die Deutungsmacht der Täter über die Opfer wehren und damit auch gegen das Fortwirken von Diskriminierung und Missachtung, dem Sinti und Roma bis in die Gegenwart ausgesetzt sind. Schließlich, so formuliert es Frank Reuter von der Forschungsstelle Antiziganismus in Heidelberg, lassen sich diese Vorurteile nur überwinden, wenn man bereit sei, „die eigenen Ambivalenzen auszuhalten und nicht eine Gruppe von Menschen für unsere Ängste oder Sehnsüchte haftbar zu machen. Das ist nicht einfach. Das verlangt uns einiges ab.“
Info: Der Film ist in der Mediathek von 3sat bis zum 21.10.22 abrufbar. Außerdem steht dort ein weiterer Film von Peter Nestler zum Thema zur Verfügung: „Der offene Blick – Künstlerinnen und Künstler der Sinti und Roma“.