Mantas Kvedaravicius drehte seine Filme für die Menschen, von denen sie auch handelten. Berichten zufolge kam er in der ostukrainischen Stadt Mariupol während Dreharbeiten bei einem Raketenangriff ums Leben. Mariupol steht im Zentrum des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und ist von der Versorgung weitestgehend abgeschnitten. Nach Angaben von Hilfsorganisationen ist die Lage vor Ort katastrophal.
In seinem Film „Mariupolis“, der 2016 auf der Berlinale zu sehen war, hatte Kvedaravicius bereits im Jahr 2014 das Leben in der Stadt angesichts des Krieges in der Ostukraine dokumentiert. Für seinen Film „Barzakh“ über die Folgen des Krieges und die Zustände in Tschetschenien erhielt der litauische Regisseur 2011 den Berlinale-Filmpreis von Amnesty International. Die Auszeichnung wird an Künstler_innen verliehen, die mit ihren Filmen über Menschenrechtsverletzungen über Grenzen gehen. Oft setzen sie sogar ihr Leben aufs Spiel – für eine Wahrheit, die sonst kaum ans Licht gekommen wäre.
Mantas Kvedaravicius, der nur 45 Jahre alt wurde, widmete sich der filmischen Wahrheitssuche mehr als andere. Er ging dorthin, wo sonst niemand hinschaute. Im Zentrum stand immer die Frage: Wie sieht ein Alltag aus, der von Krieg und Zerstörung, von persönlicher Verfolgung bis hin zum Mord gezeichnet ist? Dafür begab er sich wochen-, wenn nicht monatelang in die Welt seiner Filmstoffe. Persönliche Nähe sei ein Schlüssel, um ein Gefühl für die Alltäglichkeit zu bekommen, auch für die Alltäglichkeit von Gewalt, sagte er über seine Arbeitsweise.
Im Zentrum stand immer die Frage: Wie sieht ein Alltag aus, der von Krieg und Zerstörung, von persönlicher Verfolgung bis hin zum Mord gezeichnet ist? Dafür begab er sich wochen-, wenn nicht monatelang in die Welt seiner Filmstoffe.
Sein Dokumentarfilm „Barzakh“ zeigt, wie Menschen unter der Bedrohung leben und welch bizarre Veränderungen Repression mit sich bringt, etwa wenn ehemalige Häftlinge aus Foltergefängnissen ins Bild rücken und erzählen, was ihnen widerfahren ist. Ihnen allen fehlen die Ohren – weil sie in der Haft abgeschnitten wurden. „‚Barzakh‘ nennen Tschetschenen einen Ort zwischen Leben und Tod. Der Film zeigt eindringlich die lähmende Ungewissheit und den Schmerz der Wartenden, deren Leben stillsteht“, stellte die damalige Amnesty-Jury in ihrer Laudatio fest. „Wer diesen Film sieht, ist in Tschetschenien. Der Regisseur nimmt die Zuschauer mit in das Dorf, in das Leben und in die Seelen der Menschen.“
Kvedaravicius, der in Cambridge Anthropologie studiert und in Vilnius Lehraufträge übernommen hatte, war bescheiden, was seine Person betraf. Die Filmpreise, die er erhalte, seien den Menschen gewidmet, die er zeige, und daher eminent wichtig: „Es ist ihr Film.“
Mit seinem Tod hat die Welt einen Ausnahmekünstler verloren. Mantas Kvedaravicius habe mit „Barzakh“ großen Mut bewiesen, sagte Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland. Er habe diesen Film damals ohne Genehmigung und unter hohem persönlichem Risiko gedreht. „Dieser Mut, dieser unbedingte Wille, Menschenrechtsverletzungen aufzuzeigen und einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat Mantas Kvedaravicius ausgezeichnet. Wir sind schockiert und traurig über seinen Tod.“
Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.04.2022 in: Amnesty Journal