Flirrende Hitze liegt über dem weiten, flachen Landstrich im Nordosten Deutschlands. Nur einige Windräder und einzelne, verstreut liegende Gehöfte ragen daraus hervor wie kleine Farbtupfer aus dem Einerlei des Ununterscheidbaren. Hier, wo die Zeit stillzustehen scheint, lebt man für sich, abgeschnitten von der Welt. Entsprechend schweigsam, mürrisch und wortkarg sind die Menschen, die sich hier hauptsächlich um Tiere kümmern und mit ihren Gefühlen nichts anzufangen wissen. Zumindest legt das Sabrina Sarabis Film „Niemand ist bei den Kälbern“ nahe, der nach dem gleichnamigen Roman von Alina Herbing entstanden ist. Dysfunktionale Familien, toxische Beziehungen und eine dominante, rechtsradikale Männerwelt zwischen Suff und Frust bilden die äußeren Eckpfeiler eines Provinzdaseins, das apathisch und perspektivlos vor sich hin dämmert.
In einem solchen Leben ist auch die einsame, aufgrund ihrer Schweigsamkeit schwer zu durchschauende Christin (Saskia Rosendahl) gefangen. Die junge, attraktive Frau mit den leuchtend blauen Augen gibt sich mit ihren knappen, körperbetonten Outfits gerne einen aufreizenden Look, wirkt aber meistens lustlos und träge, gelangweilt und gleichgültig. Nur widerwillig hilft sie auf dem Bauernhof ihres etwa gleichaltrigen Freundes Jan (Rick Okon) mit, der seine Eltern unterstützt und den Milchbetrieb einmal übernehmen soll. Zwischen den beiden herrscht aber meistens sowohl kommunikative als auch emotionale Funkstille. Sie haben weder Sex noch sonstige Freuden. Während sich Jan, den seine Arbeit stresst, verstockt, frustriert und latent aggressiv zeigt, träumt Christin ohne rechten Glauben oder überhaupt konkrete Vorstellungen von einem anderen Leben. „Irgendwas in der Stadt“ und „was Eigenes“, lauten ihre knappen Auskünfte dazu. Christin sitzt in einer Abhängigkeit fest, aus der sie sich nicht zu lösen traut.
Ihr existentielles Unbehagen wendet sie schließlich auf zerstörerische Weise gegen sich selbst. Sie lässt sich auf eine ruppige Sex-Affäre mit dem älteren, aus Hamburg angereisten Techniker Klaus (Godehard Giese) ein, der die Windräder wartet. Der verheiratete Familienvater weckt in ihr eine unbestimmte Sehnsucht und zugleich eine destruktive Energie. Christin gibt sich ihm ebenso vorbehaltlos wie leidenschaftslos hin. In ihr gärt ein Verlangen, das ohne Richtung ist und kein Ziel kennt. Ihr Mangel an Interesse kompensiert sie auf paradoxe Weise mit Passivität. Wenn sie gierig wahlweise Wasser, Limonade oder Hochprozentiges trinkt, drückt sich darin auch ihr orientierungsloser Durst nach Leben aus.
Sabrina Sarabi begleitet diese komplexe Verlorenheit einer jungen Frau in langen Handkamera-Einstellungen, die immer sehr nah bei der Protagonistin sind und ihren Körper, ihre Bewegungen und ihr Gesicht als nonverbale Äußerungen erfassen. Der Stillstand einer permanenten Gegenwart spiegelt sich ebenso darin wie der Mangel an einer erzählbaren Geschichte. Nur in vagen Andeutungen wird diese körperliche Nähe durchbrochen, erscheinen Hintergründe und nicht weiter erklärte Zusammenhänge. Diese mitunter zähe und darin sehr stilbewusste erzählerische Statik reflektiert Christins ganze Beziehungs- und Ortlosigkeit. In diese mischen sich schließlich immer mehr Bilder des Todes und der Gewalt, die am Ende zu einem eruptiven Ausbruch führen. Ob darin allerdings auch ein Aufbruch hin zu einem selbstbestimmten, entschiedeneren Handeln liegt, lässt sich allenfalls erahnen.