Es fällt schwer, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Vor allem: Wie soll man die marode Weltlage und das Erstarken protofaschistischer Bewegungen seinen Kindern erklären? Der US-amerikanische Comickünstler Nate Powell hat den Versuch in sieben Comic-Essays unternommen und die gesammelten Beiträge nun in seinem Buch „Save It for Later“ veröffentlicht. Meist chronologisch angeordnet, angefangen bei Trumps Wahlsieg 2016 und 2020 beim globalen Coronaausbruch endend, porträtiert er dabei eher unfreiwillig die Mittelklasse auf dem Höhepunkt ihrer Selbstzerfleischung.
November 2016, der Tag danach: „Vielleicht hast du dein Kind an dem Tag zur Schule gebracht. Bist von einem Würmchen gedrückt worden, das zu klein ist, um zu begreifen, was für ein krasser Richtungswechsel stattgefunden hat. Oder dass es überhaupt eine Richtung gibt. Ich beneidete Babys und tote Freunde. Verfluchte mich dann dafür. Ihr euch ja vielleicht auch.“ Der Kopf der Würmchen ist, im Gegensatz zu den naturalistisch skizzierten Erwachsenen, stets als niedliches Tier, als Vogel, gar als Einhorn gezeichnet – eine visuelle Grammatik der Unschuld, die im gesamten Medium tradiert ist und auch auf der Zeichenebene den Generationenkonflikt implementiert, wie Powell ihn zwischen Babyboomern und der Generation X registriert. Das Problem solcher Dichotomisierungen unterschiedlicher Kohortenangehöriger ist meist, dass diese Auge-in-Auge-Konfrontation tiefsitzende strukturelle Prozesse unterschlägt, die jede Generation zugleich betreffen. Was geht in einem Land vor sich, das zwei Drittel der weltweiten Antidepressiva-Produktion verbraucht, in dem die Erosion der Arbeiterklassefamilien dazu geführt hat, dass Autounfälle als hauptsächliche Todesursache für Menschen unter 50 von Opiaten abgelöst wurden? Diese Fragen stellt nicht Powell, dafür muss man den Kulturanthropologe Wade Davis konsultieren.
Bei Powell liest man kein einziges Mal die Worte Klasse oder Kapitalismus, die Krise, die er beschreibt, ist vornehmlich seine eigene. Die Selbstkritik wird kokett, wenn er, spät nachts allein auf einem Bildschirm die Wahlergebnisse verfolgend, räsoniert: „Unsere weiße Mittelschichtperspektive war durch eine recht stabile soziale und politische Wirklichkeit geformt worden. Unser Glaube galt Mechanismen, die die Gesellschaft weiterentwickelten. Eindeutig die Folge einer zu selbstzentrierten Warte, die ihrem moralischen Ereignishorizont nicht hat entrinnen können.“ Zuvor erklärt er seiner fünf- oder sechsjährigen Tochter beim Zubettgehen: „Wenn du aufwachst, wird sich etwas Historisches ereignet haben. Unser Land wird endlich die erste Präsidentin gewählt haben.“ Man kann schon nicht mehr unterscheiden, ob hier nun kindliche Beschwichtigung oder in Mythos umgeschlagene Aufklärung im Spiel ist.
Analytischere Beobachtungen gelingen Powell in Passagen außerhalb des Familienbande. Wie bei den Nachbarn die Barrieren fallen und sie immer freimütiger extrem rechte Insignien im Garten oder auf dem Auto präsentieren. Wie ihm auf einer Comic-Con 2011 der erste als Hitler verkleidete Cosplayer begegnet. Wie Pop- und Alltagskultur immer stärker von einer paramilitärischen Ästhetik affiziert werden: den Wandel des Hummer-Geländewagens zum Pick-up-Truck, der als durchmilitarisiertes, schwarzes Fahrzeug das zivile Leben erreicht, an dem alle individuelle Zeichen entfernt, auch die Scheiben schwarz getönt und Kühlergrille nach Militärdesign adaptiert wurden, verbindet Powell in wenigen Bildern mit der Rückkehr des Vollbarts, der wie Sonnenbrille oder Kopfbedeckung die persönliche Wiedererkennung erschwere und mittlerweile auch in der US-amerikanischen Armee wieder zugelassen ist – angefangen als Ausnahmefall für Special Forces und Söldnereinheiten bei Einsätzen im Nahen Osten, Zentralasien und Afrika. Eine semiotische Glanzleistung!
Nur leider die Ausnahme unter ansonsten symptomatischen Korrelationen: „Doch im Rahmen unserer größten Krise der Neuzeit habe ich mich unbestreitbar dem Patriotismus nie näher gefühlt. Ich erkenne, was wir verlieren: ein unvollkommenes, grundlegendes Verständnis, dass diese Gesellschaft uns allen gehört.“ Auf Nationalismus mit besserem Nationalismus reagieren, das Kollektiv mit dem Kollektiv exorzieren – verstehe einer diese Mittelklässler. Vielleicht, fragt womöglich ein lesender Arbeiter, befindet sich der Kapitalismus derzeit in einem Transformationsstadium, in dem er weder das die Vergangenheit beschwörende Versprechen auf Wohlstand für alle noch Powells gepriesene Errungenschaften der Demokratie überhaupt noch benötigt? Dann erwiese sich Powells Rausschmeißer-Credo, dass „der Schlüssel zur Zukunft die Menschlichkeit ist“, nicht mal mehr als Kalenderweisheit tauglich. Schlimmer noch: Wie soll er das bloß seiner Familie erklären?
Nate Powell: „Save It for Later“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Langhagen. Carlsen, Hamburg 2021. 160 Seiten. 24 Euro