Der Prozess gegen den „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie am 11. Mai 1987 ist der dramaturgische Höhepunkt dieser Comicbiographie über Beate und Serge Klarsfeld. Es war Frankreichs erster Prozess wegen „Verbrechen gegen die Menschheit“. Im Comic wird die Anklage verlesen: „Da der Angeklagte 1952 und 1957 bereits in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde wegen Kriegsverbrechen, Mord, Plünderung, Brandstiftung, Folter und Hinrichtung im Schnellverfahren, klagen wir ihn in drei Punkten an: der Razzia in der Union Générale des Israélites de France am 9. Februar 1943…“ Und ab hier sieht man Barbies Gesicht als Detailaufnahme auf den nächsten beiden Panels: „Die Deportation der jüdischen Kinder von Izieu am 6. April 1944, der letzte Transport, der Lyon in Richtung Auschwitz verlassen hat, am 11. August 1944.“ Barbie lächelt bildfüllend. Zufrieden, stolz, triumphierend, so lange mit seinen Taten davongekommen zu sein, vielleicht auch wissend, dass ihm die deutsche Verdrängungskultur der „Vergangenheitsbewältigung“ jahrzehntelang in die Karten spielte.
Entnazifizierung bedeutete: Es gab die Nazielite und Deutsche. Die einen waren tot und damit verurteilt, die anderen waren nicht Hitler und somit freigesprochen. Im Kino kamen sie nicht vor, Nazis wurden rausgeschnitten oder raussynchronisiert: Hitchcocks „Notorious“, Jacques Tourneurs „Berlin Express“, John Hustons „African Queen“, Michael Curtiz’ „Casablanca“ – allesamt nazifreie Zone (und das Protokoll der Prüfungssitzung der FSK, in dem die „Casablanca“-Neufassung 1952 angeordnet wird, zeichnet ein ehemaliger Korvettenkapitän der Kriegsmarine). Hitlers Helfer waren Befehlsempfänger, Arbeit ist nun mal Arbeit, Fleiß eine Tugend auch beim Genozid. Es gab also weit und breit keine Täter, weder in der Sprache noch in den Institutionen, und damit das so bliebe, wurde 1968 still und leise das „Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“ verabschiedet, das schlagartig Tausende Nazimörder amnestierte. Die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld auf dem CDU-Parteitag am 7. November 1968 Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger verpasst hat und mit der auch der Comic einsetzt, galt nicht nur dem einstigen hochrangigen NSDAP-Mitglied, sondern diesem gesamten Leugnungs- und Relativierungskomlex.
Der französische Untertitel der Graphic Novel „Un Combat Contre L’Oubli“ lautet übersetzt in etwa „Kampf gegen das Vergessen“, Motto der Klarsfelds und Motto des Buches. Die deutsche Version „Die Nazijäger“ suggeriert weitaus reißerischer ein Politthrillerformat, das Szenarist Pascal Bresson und Zeichner Sylvain Durange glücklicherweise nicht anstreben. Sie skizzieren die Jagd nach Kurt Lischka, Herbert Hagen und Klaus Barbie, hohe Nazis, die für die Verbrechen in Frankreich verantwortlich waren und straffrei blieben. Das liest sich fraglos spannend, wird aber mehr noch mit der Allgegenwart der bundesrepublikanischen Entlastungskultur enggeführt: Eine Verurteilung in Frankreich bedeutete zugleich, dass die Täter in Deutschland nicht mehr rehabilitiert werden konnten. Der Comic erzählt von der Selbstverständlichkeit des Weitermachens der Mörder – Kurt Lischka fand man ganz banal im Kölner Telefonbuch –, von einem Kampf um Gerechtigkeit, in dem die Deutschen nur Nestbeschmutzerei und Wundenstocherei sahen, von jahrzehntelangen Recherchen und juristischen Fallstricken, von all den Entbehrungen und der Lebensgefahr, die die Aufklärungs- und Kampagnenarbeit dem Ehepaar Klarsfeld abverlangten, sie ließen sich weder von Drohanrufen, Briefbomben noch Attentaten beirren. Somit legt der Comic das Vermächtnis der Klarsfelds gegen eine neue Kultur des Relativierens an, in der die Nazis als Parlamentarier, als Pogrommob, mordende Terrorbanden und Einzeltäter, in Polizei und Bundeswehr, als Zeitungsmacher, Talkshowgäste, Diskursrichter, Onlinedemagogen und Bestsellerautoren kleingeredet werden. Das letzte Wort im letzten Panel lautet: „Danke.“
Pascal Bresson (Autor), Sylvain Durange (Zeichner): „Beate & Serge Klarsfeld. Die Nazijäger“.
Aus dem Französischen von Christiane Bartelsen. Carlsen, Hamburg 2021. 208 Seiten. 28 Euro