13 Nights: The Witch

Devil's territories
von Thomas Hemsley

Der Glaube versetzt Berge. Der Glaube zersetzt Bande… vor allem erst mal die der Familie.

Der wahre Sündenfall des strenggläubigen Menschen kommt, wenn seine Liebe und Hinwendung zu Gott größer ist als für seine Nächsten, vor allem seine Familie. Wenn Gott an erster Stelle ist, dann entstehen unweigerlich Risse, die im harmlosesten Fall zu einer inneren Abwendung führen, im schlimmsten zu Ablehnung und Verachtung, zu Verdammung, Hass und Gewalt. Wenn ein Vater zwar alles Erdenkliche für seine Kinder tut, diese sich dann aber auf eine Art entwickeln (nicht nur sexuell, aber auch), die dem rigiden Regelkorsett Gottes entgegensteht, dann kann die dominierende Achtung Gottes dazu führen, die eigene Tochter als Hexe zu verdammen. Dieses Problem ist aber nicht eines einer fernen Zeit, in der man noch an Hexen glaubte, sondern durchzieht die Welt der fundamentalistischen und repressiven Religionen auch heute noch, nur eben in anderer Form: Da werden unkeusch lebende Jugendliche exkommuniziert und von der Familie auf die Straße gesetzt, da werden erwachsene Söhne und Töchter, die sich für einen anderen Glauben interessieren, in einen anderen hineinheiraten oder vom Glauben abfallen, enterbt etc. pp. Das sind noch die harmloseren Ausformungen.

Zwar wird selten darüber gesprochen, aber warum die frühen Siedler so strenggläubig waren, hat nichts mit religiösem Kolonialismus zu tun, oder Flucht vor einem sündigen Europa, sondern damit, dass ein solches Unterfangen damals eine Art von Wagemut brauchte, den ein Mensch nur aufbringen kann, wenn er fest glaubt: Die älteren Kinder in dem Film wurden ja noch in Europa geboren, das heißt die Familie musste ihr ganzes Leben zurücklassen, sich mit quasi nichts als sich selbst und dem Glauben auf eine langwierige Todesfahrt begeben, um dann zu versuchen, in einer gänzlich fremden Welt ein neues Leben aufzubauen. Das waren keine Billigurlauber, aber das waren auch keine schon in der Neuen Welt gefestigten und reichen, Sklaven haltenden founding fathers, die sich eine intellektuelle Skepis gegenüber Religion leisten konnten. Und diese fremde Welt war zum einen ein mögliches gelobtes Land, ein Zion für Christen, ihr eigenes Land von Milch und Honig. Und sie war zugleich, wie Cotton Mather – heutzutage vor allem bekannt durch die Hexenprozesse von Salem, Massachusetts, ungefähr 60 Jahre nach der Handlung des Films – die unzivilisierte (ergo nicht christianisierte) Wildnis, ja die ganze Neue Welt nannte: „Devil’s territories“.

Orthodoxer Glauben fundiert die Welt auf der Überzeugung des Wissens. Zu der Zeit, als die Menschen nicht viel über die Welt wussten, bedeutete Glauben, dass Himmel und Hölle, Gott und Teufel, Dämonen, Magie und Hexen schlicht und ergreifend Realität waren. Die titelgebenden folk tales und Legenden waren keine als „Spukgeschichten“ fiktionalisierten Erzählungen, sondern Teil der mündlichen Überlieferung von Nachrichten und Klatsch und Tratsch über ungeklärte Vorkommnisse in den Teufelsterritorien außerhalb der Siedlungen.

Die unglaubliche Kraft des Films und seine inszenatorische wie inhaltliche Stärke ist, dass nicht nur versucht wurde, Kleidung und Sprache möglichst authentisch zu rekonstruieren, sondern dass zudem die Figuren so ernst genommen werden, dass der Film teils ihre Perspektive einnimmt, ihre Wahrnehmung ihrer Realität – und in der gibt es eben Hexen. Sie sind nicht als Wahnvorstellungen inszeniert, sondern als reale Entitäten. Das ist die konzeptuelle Grundlage für die barbarische Entscheidung, die Tochter als Hexe zu denunzieren und zu verstoßen, die dann nur folgerichtig eine neue Familie – und einen neuen Glauben – sucht und findet.

Foto: © Universal Pictures