Der alte Hofrat Deleuze meinte einmal, Filme hätten ein Bewegungsdiagramm, das ihr Konzept zum Bild macht: etwa die Spirale in „Vertigo“. Im Eiskunstlauf-Biopic „I, Tonya“ ist es die Zeitlupenpirouette.
Tonya Harding, um 1990 Skandalfigur mit Redneck-Hintergrund in einem auf Noblesse machenden Sport, springt den Dreifach-Axel zu axe grinding Hardrock: im Bild so langsam, dass es erhebend ist – und zum Mitschreiben deutlich. Wie die Dreh- und Wendungen, die der Film zu Aufstiegskampf-Wahrheit-versus-Medienimage vollführt: vom Ankündigen einer Story „based on irony-free interviews“ über Camcorder-Monologe, die, ebenso wie Wendungen zur Kamera aus dem Spiel heraus, die Handlung skandieren, bis zu Archivbildern im Abspann. Rumrutschen auf Fake-Styling samt Zwinkern an uns als Implizierte, triple axing the fourth wall: Solch virtuose Kür ist längst Pflichtprogramm.
Tonya schleppt Zement und Holz beim Joggen und vergleicht sich mit dem Held von „Rocky IV“. Ihre Trainerin zwinkert uns zu: „She did this.“ Zuletzt mündet die Klassenjustiz der Punkte- und Strafrichter (da war was mit einer Attacke auf eine Rivalin) in Montagepirouetten: Eisläuferin springt hoch, Promiboxerin fällt tief, Off-Stimme sagt, alle hätten ihre Wahrheit, In-die-Kamera-Rede feixt trotzig, das sei die gültige – besiegelt mit Blut, Siouxsie Sioux’ „The Passenger“-Version und Anklängen an Scorsese-Klassiker zur All-American Selbstüberschätzung.
Rund um Margot Robbie, stark als grelles bad girl, und Allison Janney als brutale mum (ausgezeichnet mit einem Oscar für die beste weibliche Nebenrolle) bietet „I, Tonya“ ein White-working-class-Panorama im Zugleich von Komik und Beziehungsgewalttragik: Klasse ist hier (wie bei Didier Eribon, anderseits bei Donald Trump) eine Lebensweise, die ganz im Makel oder aber Exzess aufgeht. Bis alle kapiert haben, dass alles ganz uneindeutig ist.
Diese Kritik erschien zuerst in: Spex No. 379