Bäm! Aufgrund geringer Wahlbeteiligung gelingt einer rechtspopulistischen Partei überraschend der Wahlsieg. Eine Zäsur, auch in dem ruhigen Vorort, in dem die Familien Schneider und Pielcke Nachbarn sind. Während man bei Schneiders, er Lehrer, sie Apothekerin, noch fassungslos vor der Glotze sitzt („Fuck! Das ist doch wohl ein schlechter Scherz! Diese scheiß-naive Hoffnung, dass bei uns nichts Schlimmes passiert!“), werfen Pielckes nebenan, er selbständig im Sanitärbereich, sie Hausfrau, „zur Feier des Tages“ den Grill an. Den Teenager-Söhnen der beiden Paare ist der Ausgang der Wahl herzlich egal.
Politik findet in der Miniserie „Deutscher“ alsdann nur noch als Hintergrundrauschen in Form von ein paar TV-Statements zum selbstbewussten Umgang mit der deutschen Geschichte und zur Lügenpresse statt. Worum es „Deutscher“ zu tun ist, sind die atmosphärischen Veränderungen und Polarisierungen im Alltag, am Arbeitsplatz. Der Wahlsieg der Rechten ist mithin kein Unfall gewesen. Die diversen Konflikte, die die Serie auffächert, illustrieren Begriffe wie Alltagsrassismus, Opportunismus, Zivilcourage und Solidarität. Opfer rassistischer Gewalt werden nicht mehr geschützt, liberale Lehrer isoliert, muslimische Schüler*innen segrediert. Wer sich wehrt, verliert den Job. Jedes Arschloch meldet sich bedenkenlos in seiner Arschlochhaftigkeit zu Wort. Die Serie spielt diese Prozesse in diversen Schattierungen durch und stellt die Opferfrage. Gleichzeitig skizziert sie die Gender- und Klassenlagen der Nachbarsfamilien ansatzweise unter Zuhilfenahme einer trivialisierten Schwundform Bourdieuscher Überlegungen.
Angesichts der Verdichtung des Erzählens aufs Bebildern von Thesen erinnert man sich an Harun Farockis frühsiebziger Polemik gegen den „Berliner Arbeiterfilm“. Dort vermisste er die Arbeit, stets würden obligatorisch drei Hammerschläge ausgeführt, bevor es heiße: „Weißt du, ich hab dir doch neulich gesagt …“ Vergleichbar verhandelt „Deutscher“ „das Politische“ mit den Mitteln der gutgemeinten Daily Soap. Die finale Aussöhnung mit reichlich Körperkontakt findet dann am Krankenbett statt: „Wird alles wieder gut.“ Zumindest im Privaten.
28./29. April ab 20.15 Uhr auf ZDF Neo; seit 25. April in der ZDF-Mediathek
Diese Kritik erschien zuerst in: KONKRET 05/2020