Der ausführliche Vorspann mit seinen wechselnden farbigen Hintergründen und den darüber gelegten Filmbildern wirkt wie ein vorweggenommener Abspann. Noch ist der Regie-Stuhl von Agnès Varda unbesetzt. Doch schon einen Schnitt später sitzt die hochbetagte Grande Dame der Nouvelle Vague auf der Bühne eines großen Opernhauses, um dieses, wie sie sagt, „in ein Kino zu verwandeln“ und dem aufmerksamen Publikum aus ihrem Leben und von ihrer Arbeit zu erzählen. Beides ist in ihrem Werk natürlich untrennbar miteinander verbunden, weshalb Vardas kurzweiliger, von zahlreichen Filmausschnitten begleiteter Streifzug durchs eigene Œuvre ebenso subjektiv wie assoziativ gestaltet ist. Ihre als „Plauderei“ apostrophierten Erinnerungen sind zugleich ein aufschlussreicher Werkstattbericht, der die Motive der Filme mit Vardas ästhetischen Strategien verknüpft.
„Drei Wörter“ hätten ihre künstlerische Arbeit stets geleitet, sagt die französische, 1928 in Brüssel geborene Filmemacherin gleich zu Beginn ihres letzten Films „Varda par Agnès“, der zu ihrem Abschied und Vermächtnis geworden ist. „Inspiration“, „Kreation“ und „Teilen“ lauten diese wesentlichen Schlüsselbegriffe, in denen nicht nur Agnès Vardas besondere, fiktive und dokumentarische Elemente vereinende „Filmhandschrift“ zum Ausdruck kommt, sondern auch ihr vorrangiges Interesse an „echten Menschen“. Gleich ihr erster Langfilm „La Pointe Courte“, den die gelernte Fotografin bereits 1954 in dem gleichnamigen Fischerdorf bei Sète und mit den dortigen Bewohnern realisieren konnte, macht das anschaulich; genauso wie die vielen dokumentarischen Straßenszenen aus „Cléo de 5 à 7“ („Cleo – Mittwoch zwischen 5 und 7“) von 1961, der in Paris entstand und der den objektiven, stark verdichteten äußeren Zeitrahmen mit dem subjektiven Zeiterleben einer jungen, unter Todesangst leidenden Frau verbindet.
Die Vergänglichkeit und das Glück gehören zu den Leitmotiven in Vardas Werk. Ihr aus wechselnden Vorträgen montiertes Selbstportrait berichtet davon, „was zur Arbeit geführt hat“ und macht einen ungemein kreativen Kosmos sicht- und spürbar. Die konzentriert und sehr klar wirkende 90-Jährige spricht über „Strände als Orte der Inspiration“ und als „geistige Landschaften“, über Feminismus und „Körperpolitik“ sowie über ihre Arbeit als Fotografin und „Visual Artist“ beziehungsweise Installationskünstlerin. Sie erzählt von ihrem Mann, dem Filmemacher Jacques Demy, dessen Sterben sie filmisch begleitete; sie berichtet von ihrer Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Jane Birkin und trifft sich mit Sandrine Bonnaire, die in Vardas preisgekröntem Film „Sans toit ni loi“ („Vogelfrei“) von 1985 die junge, einsame Landstreicherin Mona verkörperte.
Doch trotz aller Hoffnungslosigkeit findet die vielseitige Künstlerin mit ihrer universellen Sprache immer wieder zu den Farben des Trostes und des Glücks. Ihr gleichnamiger Film „Le bonheur“ von 1964 handelt auf impressionistische Weise und begleitet von Musik Mozarts fast nur davon. „Öffnete man mich, fände man Strände“, sagt Agnès Varda einmal augenzwinkernd. Die letzte Einstellung zeigt die im vergangenen Jahr verstorbene Filmkünstlerin in einem Sandsturm am Strand, während ihre Stimme aus dem Off mitteilt: „Ich verschwinde in der Unschärfe. Ich verlasse Sie.“