Zwei Mal kommt der 24-jährige David zu spät. Es ist Sommer in Paris und das Leben fühlt sich leicht und unbeschwert an. Wind bewegt die Blätter in den Wipfeln der Bäume, auf die ein helles, warmes Licht fällt. Wenn David nicht für die Stadtgärtnerei jobbt, empfängt er für eine Zimmervermittlung am Bahnhof Touristen, um sie zu ihren Quartieren zu bringen. Und weil seine Kunden nicht immer pünktlich sein können, schafft es David nicht rechtzeitig, seine kleine Nichte Amanda (Isaure Multrier) von der Schule abzuholen. Prompt wird er von seiner Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) dafür gescholten. Die Englischlehrerin ist alleinerziehend und erklärt in einer der darauffolgenden Szenen ihrer neugierigen 7-jährigen Tochter die Redewendung „Elvis has left the building!“, deren Gehalt bald noch eine Rolle spielen wird. Dann tanzen die beiden ausgelassen zu „Don’t be cruel“. Derweil verliebt sich David in die junge Klavierlehrerin Léna (Stacy Martin), die gerade aus der Provinz nach Paris gezogen ist.
Sehr behutsam und wirklichkeitsnah beschreibt Mikhaël Hers in seinem berührenden Film „Mein Leben mit Amanda“ (Amanda) den Alltag und die Beziehungen seiner Figuren: eine wohltuende Normalität, der man sich als Zuschauer gerne überlässt und die immer weitergehen könnte. Doch wie schon in seinem vorhergehenden Film „Dieses Sommergefühl“ (FR/DE 2016) thematisiert Mikhaël Hers auch in seinem neuen Werk die Zerbrechlichkeit des Lebens und den damit verbundenen Prozess der Trauer. Als sich David eines Abends für ein Picknick mit Freunden in einem Park verspätet, begegnet er bei seiner Ankunft dem nackten Grauen: Terroristen haben die Gruppe überfallen und neben anderen Sandrine getötet. Léna überlebt mit einer schweren Armverletzung. Schon die merkwürdige Ruhe während Davids Fahrradfahrt zum späteren Schauplatz des Verbrechens kündigt das Unheil an. Und am Tag nach dem Attentat liegt eine unheimliche Stille über der Stadt, bevor das Leben weitergeht.
Der Schock und die Sprachlosigkeit bestimmen in der ersten Zeit nach dem schrecklichen Ereignis die schmerzlichen Gefühle der Überlebenden, die vielleicht nur der Zufall gerettet hat und die deshalb unterbewusst ein Schuldgefühl gegenüber den Opfern in sich tragen. Von einem Tag auf den anderen ist alles anders. „Wir haben beide niemanden“, sagt David, der ohne Mutter aufgewachsen ist, zu Amanda, die gerade ihre geliebte Mutter verloren hat. Im Zentrum einschneidender Veränderungen, die vom Gefühl plötzlichen Alleinseins und einer immer wieder überwältigenden Trauer verschärft werden, muss David lernen, als Ersatzvater Verantwortung zu übernehmen und für sich und Amanda einen neuen Weg zu finden. Dabei stützen sich die beiden gegenseitig.
Mikhaël Hers konzentriert sich in seinem einfühlsam erzählten Film über Verlust und Trauer auf die persönlichen Wirkungen des Attentats und blendet öffentliche Reaktionen weitgehend aus. Trotzdem vermittelt er auf subtile Weise auch ein verändertes gesellschaftliches Klima. Durch Ellipsen verdichtet er den anhaltenden Schmerz seiner Figuren, die sich langsam aufeinander zu bewegen und sich dabei auch einer verdrängten Vergangenheit annähern. Entgegen aller Angst ist „das Spiel“ (des Lebens) – in Anlehnung an die eingangs zitierte Redewendung – nicht vorbei. Noch lassen sich die Wunden der traumatisierten Protagonisten und ihren beschädigten Familien heilen. Dafür braucht es Liebe, Vertrauen und Zusammenhalt. Vorsichtig, aber bestimmt öffnet sich Hers‘ Film dieser Perspektive.