Mit „High Tension“ (F 2003) etablierte Alexandre Aja den Terrorfilm als populäres Genre in Frankreich und avancierte sogleich zu einem der international beachtetsten Vertreter des Genres, der künftig in den USA arbeiten sollte. Basierte sein Remake „The Hills Have Eyes“ (USA 2006) noch auf Wes Cravens gleichnamigen Urgestein des Terrorfilms, so kam „Mirrors“ (D, RO, USA 2008) bloß als etwas härteres Remake eines südkoreanischen Horrorthrillers daher. Sein Tierhorrorfilm „Piranhas 3D“ (USA 2010) suhlte sich dann zwar geradezu in blutrünstigen Bildern, war aber ähnlich wie Joe Dantes Original „Piranhas“ (USA 1978) ein satirischer Vertreter des Subgenres. Stichelte Dante noch mit bierernster Miene, absurden Einsprengseln und subversiven Spitzen gegen das Militär – das in seinem Film vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges menschenfressende, salzwasserresistente Piranhas herangezüchtet hatte –, so zog Aja über eine hedonistische Spring-Break-Kultur her. Zwar war er darum bemüht, das Wüten prähistorischer Piranhas unter freizügig feiernden Jugendlichen nicht rein reaktionär als quasi göttliche Strafe zu inszenieren; mit einem teils drastisch in Szene gesetzten Egoismus, den er einem großen Teil der Feiernden attestiert und sie damit zur Zielscheibe seines Spottes macht, ist das jedoch nur teilweise gelungen. „Piranhas 3D“ war jedenfalls der schwarzhumorig abgemilderte Abschied vom harten Horrorfilm: in Ajas folgenden Langfilmen der 10er-Jahre dominierten dann genau diese gedämpfteren und teils humorvollen Züge.
Nun kehrt Aja am Ende der Dekade wieder ganz unironisch mit einem Tierhorrorfilm zur harten Kost zurück – wenn man einmal von einem frühen Gag und vom „See You Later, Alligator“ während der End-Credits absieht. Die Bedrohung geht diesmal von Krokodilen aus, die schon von „Blutrausch“ (USA 1977, Regie: Tobe Hooper) über „Der Horror-Alligator“ (USA 1980, Regie: Lewis Teague) bis „Killer Crocodile 2“ (I, USA 1990, Regie: Giannetto De Rossi) sowie später von „Lake Placid“ (USA 1999, Regie: Steve Miner) bis „Rogue – im falschen Revier“ (AUS 2007, Regie: Greg McLean) ihr Unwesen im Genre trieben.
„Crawl“ bemüht sich dabei um einen relativ originellen Zugang, indem er Vater, Tochter und Hund während eines Hurrikans im überschwemmten Krisengebiet gleich an eine Vielzahl aggressiver Alligatoren geraten lässt. Und er hält sich zugleich an alle Standards des Tierhorrorfilms. Das beginnt schon beim doppelten Rahmen der Geschichte, der einmal die kleinen, individuellen, persönlichen Dramen der Protagonisten und einmal das große kollektive Drama einer Gesellschaft betrifft. Den kleinen Rahmen bilden meist die Beziehungskrisen, familiären Konflikte und Selbstzweifel der Hauptfiguren. Den großen Rahmen bildet eine unerwartete Bedrohlichkeit der Natur, an der Kommerz, Umweltverschmutzung oder eine bloße Überheblichkeit des Menschen, der sich ganz selbstverständlich für den Mittelpunkt und den Beherrscher der Welt hält, empfindlich in ihre Grenzen gewiesen werden.
In „Crawl“ bildet der tobende Hurrikan Wendy den großen Rahmen der Geschichte. In einer Zeit, in der vermehrt über mögliche Zusammenhänge zwischen immer intensiveren Hurrikans und einem Klimawandel spekuliert wird, in der mit „Beasts of the Southern Wild“ (USA 2012, Regie: Benh Zeitlin), „Hours“ (USA 2013, Regie: Eric Heisserer) oder den „Sharknado“-Filmen (2013-2018) zahlreiche Filme zur Thematik entstehen und in der generell apokalyptische Katastrophenfilme und Dystopien von „2012“ (USA 2009, Regie: Roland Emmerich) über „Snowpiercer“ (KOR, CZ 2013; Regie: Bong Joon-ho) oder „Interstellar“ (CDN, GB, IS, USA 2014, Regie: Christopher Nolan) bis „Geostorm“ (USA 2017, Regie: Dean Devlin, Danny Cannon) boomen und eine neue Ausrichtung aufweisen, ist „Crawl“ somit dicht am Puls der Zeit. Der Film thematisiert zwar nicht den Klimawandel, vor welchem die intensiveren Hurrikans der letzten Jahre mitunter diskutiert werden, greift aber die Warnungen, nicht mit Waffen auf Hurrikans zu schießen, auf und verortet sich somit ganz deutlich in einer Gegenwart, in der Wetter und Menschen gleichermaßen aus der Balance geraten zu sein scheinen.
Auch Haley, die Hauptfigur, ist ein bisschen aus dem Gleichgewicht geraten und ignoriert recht dreist alle Warnungen und Vorgaben der Behörden, um in ihren frisch evakuierten Heimatort vorzudringen, in welchem sich ihr Vater trotz des anrückenden Stufe-5-Hurrikans und trotz steigender Wassermassen aufzuhalten scheint. Womit man beim kleineren Rahmen dieser Tierhorror-Geschichte wäre: Haley wird als ambitionierte Wettschwimmerin eingeführt, die bei einem Wettbewerb zu Beginn des Films knapp am ersten Platz vorbeischrammt. Bald erfährt man, dass ihr Vater sie von Kindheit an getrimmt hat – so sehr, dass seine Ehe daran Schaden nahm, was wiederum die Vater-Tochter-Beziehung stark beschädigte.
Alles läuft nun so, wie man es erwarten darf: Von der Schwester informiert macht sich Haley auf, im evakuierten Krisengebiet nach ihrem Vater zu suchen. Diesen findet sie bald schwer verwundet im Keller des einstigen Familienanwesens wieder – wo sich auch bereits zwei Alligatoren aufhalten und recht schnell die Kellertreppe blockieren. Das Wasser steigt, der Keller wird geflutet, die Zeit wird immer knapper, derweil draußen einige Plünderer weiteren Alligatoren zum Opfer fallen. Es tauchen die obligatorischen Polizisten auf, die dann doch keine Hilfe bieten können; Tochter und Vater müssen zusammenarbeiten und dabei wieder Frieden schließen, derweil sich Haley ihrem Daddy endlich als leistungsstarke Schwimmerin präsentieren kann. Die Kamera achtet indes stets darauf, nur soviel Raum zu zeigen, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, dass ein Alligator kurzerhand ins Bildfeld stoßen und Körperteile an- oder abbeißen kann – was natürlich stets dann geschieht, wenn die Suspense-Szenen vorbei und nur scheinbar entspannte Phasen frei für Schockmomente sind. Und freilich wird ausgerechnet der ebenfalls anwesende Familienhund, obgleich er Sugar heißt, Starkregen, Überschwemmung und Alligatorattacken am glücklichsten überstehen.
Im Großen und Ganzen ist „Crawl“ durch und durch konventionell, wenngleich eine Vielzahl aggressiver Alligatoren innerhalb des gefluteten Eigenheims schon einen gewissen Kuriositätenwert besitzt: Doch Aja schafft es trotz altbekannter Standardsituationen und klischierter Versatzstücke, einen fesselnden Spannungsbogen aufzubauen und kaum Zeit zum Durchatmen zu lassen. Dass das kleine Familiendrama und die größere Katastrophe der Bedrohung durch einen Hurrikan keinen nennenswerten Mehrwert mit sich und allenfalls einen Zeitgeist zum Ausdruck bringen, fällt bei der nervenaufreibenden Tour de Force nicht weiter ins Gewicht: Auf dem Sektor des Alligator-Tierhorrorfilms kann sich „Crawl“ dann auch an vorderer, wenn nicht gar vorderster Stelle einfügen.