Man ist ja einigermaßen misstrauisch, wenn ein Zombiefilm aus deutscher Produktion angekündigt wird. Der klassische Postapokalypse-Film führt uns eine vom Menschen zugrunde gerichtete, zerfallende oder sonst wie aus dem Ruder laufende Welt vor Augen, in der das, was wir die Zivilisation zu nennen belieben, endgültig suspendiert ist.
Doch wirft das Genre, indem es eine finstere Zukunft imaginiert, nicht nur einen kritischen Blick auf die kapitalistische Gegenwart. Es geht, die technisch-handwerkliche Seite des Filmemachens betreffend, in nicht wenigen Produktionen, die mit den Mitteln des Thrillers arbeiten, auch um hochgetaktete Schnittgeschwindigkeit, sicheres Timing, Rasanz, Beweglichkeit und Originalität der Kameraführung, um ein liebevolles Design des Szenenbildes, um Formbewusstsein und Atmosphäre, um Dinge also, um die man sich im deutschen Kino wenig schert oder die man nie gelernt hat. Einfach ein paar Leute sprechen und fuchteln lassen, dann mit der Kamera aus einiger Entfernung so draufhalten, dass Oberkörper und Köpfe einigermaßen zu sehen sind, zack – fertig ist der Lack. In den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten jedenfalls hat man im Filmland Deutschland mit dieser reduzierten Ästhetik überwiegend erbärmliche „Komödien“ (Hauptdarsteller hat einen lustigen Hut auf, spricht mit verstellter Stimme, macht Grimassen) und vermeintlich tiefschürfende, kiloschwer mit Bedeutung aufgeladene „Autorenfilme“ hergestellt und so auf sich aufmerksam gemacht. Man ist international berüchtigt und genießt zu Recht einen bestimmten Ruf („Lass mal lieber die Finger davon, ist eine deutsche Produktion“). Deutsche Filme, das weiß man, sind etwas für Liebhaber, so wie etwa auch die schottische Küche.
Ein ausgerechnet in Thüringen angesiedelter Postapokalypse-Film wirkt da einerseits wie eine vertrauensbildende Maßnahme (haha, geiler Trash), weckt andererseits beim Zuschauer aber auch den leisen Verdacht, es mit einem auf moralische Erbauung und Belehrung setzenden Endzeitfilm für evangelische Religionslehrerinnen zu tun zu bekommen. „Endzeit“ erzählt von einer Handvoll Überlebender, die in den letzten beiden von Menschen bewohnten Städten, Weimar und Jena, ihr Dasein fristen. „Eine Seuche hat die Erde heimgesucht.“ Soll heißen: Zombies haben die Erde überrannt, fast die gesamte Weltbevölkerung ist ausgelöscht worden.
Die übrig gebliebene Bevölkerung hat das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar mit Sonnenkollektoren versehen, mit denen man ein wenig Energie produziert, und baut an sogenannten Schutzzäunen, die eventuelle Zombieattacken aufhalten sollen. Das Umland von Weimar sieht aus wie gewohnt: öde. Hin und wieder scheinen sich ein paar Zombies hierher zu verirren, aber zu sehen ist recht wenig von ihnen, was auch am schmalen Budget des Films liegen mag.
Zwei Frauen – die eine verkörpert den Typus der toughen, robusten Soldatin, die andere ist gerade aus der Psychiatrie entkommen (was für ein hanebüchener Unfug: als gäbe es nach der Zombie-Apokalypse noch so etwas wie eine Psychiatrie!) – wollen Weimar verlassen. Sie begegnen sich in einem Waggon des auf der Strecke liegen gebliebenen fahrerlosen Versorgungszugs, der Weimar mit Jena verbindet. In dem drolligerweise militärisch völlig ungesicherten, unbewachten Zugwaggon liegen passenderweise ein paar Säcke und ein paar Decken und Polster herum, und auf der Zugtoilette haben sich nicht etwa Zombies, sondern Schmetterlinge niedergelassen.
Spätestens da wird man als Zuschauer stutzig: Es geht hier womöglich gar nicht ums Ende der Welt, sondern um deren Rettung durch die Bekämpfung des Schädlings Mensch. Soll heißen: Die Natur („Mutter Erde“) übernimmt den Laden wieder, wenn die Menschen hoffentlich irgendwann einmal endgültig verschwunden sind. Solch menschenfeindliche Wunschfantasien werden in Deutschland, wo „Natur“ traditionell nicht als zerstörerischer Gegensatz zur Zivilisation gedacht wird, sondern als romantisches Postkartenidyll, gern zur „Philosophie“ aufgeblasen. Da keimt ein Verdacht: Wir haben es hier gar nicht mit einer klassischen Dystopie zu tun, sondern mit einer Art verfilmtem Rudolf-Steiner-Märchen bzw. mit einem „Öko-Märchen mit Botschaft“ („Stern“). Doch wollen wir kein vorschnelles Urteil abgeben, warten wir’s ab.
In der Folge begeben sich unsere beiden weiblichen Buddies als eine Art unfreiwillig zusammengeschweißtes Duo auf eine Wanderung durch thüringische Landschaften, weitgehend entvölkertes Gebiet. Es folgt eine Art zähes Stationendrama, in dessen Verlauf, wenn auch die Orte wechseln, nicht allzu viel geschieht: Wald und Wiesen werden durchwandert. Einmal steht eine Giraffe aus dem „Erfurter Zoo“, wie eine der beiden Protagonistinnen weiß, mitten in der Landschaft herum.
Zwischendurch beobachtet man zwar ein paar Zombies beim Ausweiden einer Militärpatrouille, doch die Untoten scheinen wundersamerweise keine Gefahr für die beiden Frauen darzustellen, die die in deutschen Filmen üblichen esprit- und humorfreien Quatschdialoge von sich geben: „Ich wollte immer Fotografin werden. Meine Schwester ist noch da draußen.“ – „Hast du sie geliebt?“ – „Meistens habe ich sie gehasst.“ Gähn. Später kommen noch Dialoge hinzu, die teils nach Esoterikmesse, teils nach grünem Sponti-Gelaber aus den 80ern klingen: „Glaubst du, wir werden geprüft?“ – „Ich glaube, die Erde ist eine kluge alte Frau und die Menschen haben lange keine Miete bezahlt, und das da draußen ist die Räumungsklage.“ Selbst der nicht immer treffsicher urteilenden Zeitschrift „epd film“ muss an dieser Stelle etwas aufgefallen sein: „Mitunter trägt der Film, auch in den Dialogen, etwas zu dick auf.“ Doch rasch weiter im Stationendrama: Unsere zwei Heldinnen durchstreifen eine Art verwunschenes Burggemäuer, wo sie auf Gurken stoßen, aber auch auf Zombies, die es zu erlegen gilt.
Kurz darauf treffen sie auf eine Frau, der Unkraut aus dem Kopf wächst, die Öko-Landwirtschaft betreibt und sich selbst die „Gärtnerin“ nennt, allem Anschein nach eine Art Vorreiterin einer mutierten und neuen, im Entstehen begriffenen Spezies Mensch. Sie gibt allerlei esoterisches Geschwätz und dunkelromantisch-reaktionäre Kalendersprüche von sich, die allesamt klingen, als hätten Botho Strauß, der Dalai Lama und Juli Zeh gemeinsam Tagebuch geschrieben: „Es gilt, die Chance zu nutzen, die uns der Untergang bietet. Alles ändert sich, im Chaos liegt Frieden. Es wird etwas Neues entstehen. Die Gier der Menschen war nie unter Kontrolle. Sie hätten das Paradies haben können.“ Spätestens jetzt weiß man: Der Film ist nicht mehr zu retten.
Bei der „Frankfurter Allgemeinen“ hingegen scheint man relativ begeistert darüber, dass man in Deutschland sogar in der Lage ist, auch aus einem Thema wie der Apokalypse noch bildungshubernden Landschaftskitsch herauszupressen bzw. herauszuheideggern: Wie die Kamera „die thüringische Landschaft einfängt, ist nicht nur eine Augenweide, sondern zudem ein Grundkurs in romantischem Sehen – ›romantisch‹ verstanden im geistesgeschichtlichen Sinn des Wortes, das ja nicht zuletzt in Jena seinen deutschen Ursprung hat“.
Auch ein letzter Blick ins Presseheft bestätigt schließlich das schon beim Betrachten des Films empfundene Gefühl, dass es extrem katrin-göring-eckardt-haft und zugleich irgendwie diffus ernst-jünger-artig zugeht: „Auf ihrem Weg finden die jungen Frauen keine finstere Endzeit-Welt, sondern eine berauschend schöne Natur vor, die sich alles zurückerobert hat, was sie einst Zivilisation nannten.“ Bei dem Film, so heißt es weiter, handele es sich um eine „mystisch-märchenhafte Dystopie“. Man könnte ihn aber auch als reaktionären Naturglorifizierungskäse bezeichnen.
Wie sagt eine der beiden Protagonistinnen am Ende des Films so schön? „Weißt du, was das Gute an unserer Apokalypse ist? Man kann wieder alle Sterne sehen.“
Dieser Text erschien zuerst am 21.08.2019 in: Neues Deutschland