Girl

(BE/NL 2018; Regie: Lukas Dhont)

Sprachloses Leiden

„Du bist schon jetzt eine Frau“, sagt der Therapeut zur 16-jährigen Lara (Balletttänzer Victor Polster). Das hübsche, ungeduldige Mädchen mit der tiefen Stimme steckt nämlich im Körper eines Jungen und ersehnt sich eine Zukunft als „eindeutige“ Frau. Dafür unterzieht sich Lara einer Hormonbehandlung, die sie auch auf eine geschlechtsumwandelnde Operation vorbereiten soll. Zwar wirkt sie schüchtern und mädchenhaft, artikuliert diesbezüglich aber einen starken Willen und große Entschiedenheit. Denn ihre transsexuelle Existenz befindet sich in einer doppelt schweren Phase: Zum einen muss sie die vielfältigen, auch zwischenmenschlichen Anfechtungen der Pubertät mit ihrem Zwang zur Orientierung aushalten; zum anderen kollidiert ihr ehrgeiziges Streben, Ballerina zu werden, mit den biologischen Bedingungen ihres Körpers, der förmlich zum Hindernis wird. Gegen seine „naturgegebenen“ Begrenzungen kämpft Lara unermüdlich an.

Eben hat Lara die Aufnahmeprüfung und die sich daran anschließende achtwöchige Probezeit an einer renommierten belgischen Balletschule bestanden. Mit ihrem verständnisvollen, stets bemühten Vater Mathias (Arieh Worthalter) und ihrem kleinen 6-jährigen Bruder Milo (Oliver Bodart) ist sie dafür extra umgezogen. Lara will funktionieren und unauffällig sein, sich integrieren und dazugehören. Doch unter dem selbstverordneten Anpassungsdruck wird sie zur Außenseiterin, die sich isoliert, ihre Gefühle und Schmerzen unterdrückt und ihren Körper so quält als wolle sie ihn gewaltsam loswerden; bis sie schließlich physisch und psychisch zusammenbricht. Trotz ihres weitgehend toleranten Umfeldes erlebt sie auch eine demütigende Verletzung ihres Schamgefühls, die bis zur völligen Sprachlosigkeit führt.

Sehr einfühlsam und mit großer Nähe zu seiner Heldin erkundet Lukas Dhont in seinem beeindruckenden Debütfilm „Girl“, das stille Leiden Laras, die in ihrem Körper wie in ihrer Existenz gefangen ist. Eindringlich beschreibt der Film ihre Ausbruchsversuche aus diesem undefinierbaren „Zwischenzustand“. Dafür beobachtet der junge belgische Regisseur im dokumentarischen Stil zahlreiche Tanzszenen, in denen die inneren Konflikte der Protagonistin schonungslos nach außen, in wirbelnde Bewegungen und physischen Schmerz transformiert werden. Dabei verschwindet das goldgelbe, warme Licht des Filmbeginns allmählich aus den Bildern, während der Druck auf Lara zunimmt und fast unvermeidbar auf eine Katastrophe zusteuert.

Girl
Belgien, Niederlande 2018 - 105 min.
Regie: Lukas Dhont - Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens - Produktion: Dirk Impens - Bildgestaltung: Frank van den Eeden - Montage: Alain Dessauvage - Verleih: Universum Film - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Victor Polster, Arieh Worthalter, Katelijne Damen, Valentijn Dhaenens, Oliver Bodart, Tijmen Govaerts
Kinostart (D): 18.10.2018

DVD-Starttermin (D): 22.02.2019

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt8254556/
Foto: © Universum Film