Wer sich informieren will, etwa darüber, wie ermittelt wird, wer seitens der Democrats für die US-Präsidentschaft kandidiert und wie dabei der Wille des Partei-Establishments mehr zählt als andere, „reguläre“ abgegebene Stimmen, was mit bewirkte, dass Hillary Clinton statt Bernie Sanders im November 2016 gegen Donald Trump antrat – wer sich also darüber informieren will, die oder der kann sich Michael Moores neuen Zweistünder „Fahrenheit 11/9“ anschauen. Und kann dann einwenden, Information im Sinn von erklärender, belehrender Faktendarlegung sei das nun ja aber nicht.
Sie oder er hätte Recht. Dieser Film ist links. Linkspop als Agitprop. Michael Moore agitiert deftig, grell und laut, kommentiert süffisant bis feierlich, montiert große Bögen und jähe Volten. Seine Panoramen von Zusammenhängen bieten sich zum zusammen Schauen an: Das liefert Pathos für den Saal, nicht Daten für den Monitor.
Einer der Bögen von „Fahrenheit 11/9“ heißt Kritik an kompromisslerischen, durch ihre Nähe zum Großkapital kompromittierten Oldschool-Democrats. Moore bezieht eine Art Sanders-Position: Ein weißer Alt-Promi mit historischen linken Meriten schart junge Engagierte um sich – und gibt (mit großer Geste, aber letztlich doch) an sie ab, gibt an sie weiter. Junge Leute, viele Frauen, viele people of color, die öffentlich politisch agieren, etwa eine Wortführerin von Lehrer*innen, die gegen drastische Unterbezahlung streiken, oder in der Gun Control-Bewegung organisierte Überlebende des Parkland High School-Amoklaufs, sie übernehmen zunehmend den Film. Bis hin zur melodramatisch phrasierten Schlussmontage mit der anklagenden Stimme, dem öffentlich trauernden Schweigen, dem close-up der toughen, buzz cut tragenden Aktivistin Emma González (Tränen dann nicht nur in ihrem Gesicht). Mittendrin immer wieder Richard Odeya, ein bulliger weißer demokratischer Senator, gewerkschaftsaffin, merklich Ex-Armeeoffizier, Kraftwortbenutzer. Ein ganz anderer Habitus. Allianz tut not und gut. Linkspop.
(Odeya – mittlerweile Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2020 – erklärt im Film übrigens, dass das Wort redneck, das ja heute mit weißer Homophobie, Bigotterie und Supremacy-Ideologie assoziiert ist, ursprünglich recht anders codiert war, nämlich bezogen auf die roten Halstücher gewerkschaftlich organisierter, klassenkampfeslustiger Arbeiter. Na, das ist ja doch richtig „informativ“.)
Anflüge von Aufbruchsgeist, sowie die Hoffnung spendende Existenz, die Redeweisen, die Anmutung neu aufkommender demokratisch-solidarischer und antirassistischer Öffentlichkeiten, Netzwerke, auch Politik-Talente, und nicht zuletzt, dass die Amis von ihren Einstellungen her eigentlich strukturell linksliberal, aber leider rechts regiert seien – das vermittelt „Fahrenheit 11/9“. Dies zumeist im Sound der Satire, aber auch mit einigen Grundtönen der Trauer. Trauer um erschossene Schüler*innen. Trauer um die Wahl 2016 (Moores Filmtitel benennt das Datum von Trumps Überraschungssieg und zitiert „Fahrenheit 9/11“, Moores Filmerfolg von 2004 über die Machinationen und v. a. die Außenpolitik eines anderen republikanischen Präsidenten, George W. Bush). Trauer um Moores Heimatstadt, die Industrieruine Flint in Michigan, die erst von Auto-Konzernen ausgebeutet und zugrunde gerichtet wurde (siehe Moores Kinodebüt, die Schelmenreise „Roger & Me“, 1989) und nun durch profitable Wasserprivatisierung. Trauer auch um den Moment, als Präsident Obama Flint besuchte und die Gelegenheit, der dortigen armen afroamerikanischen Bevölkerung in ihrem Kampf um Wasserversorgung den Rücken zu stärken, nicht nur ausließ, sondern einen regelrechten Verrat an den Leuten beging. Den Moment, als der Hoffnungsträger ein Glas Wasser trinkt, zelebriert Moores Montage in Detailaufnahmen, dramatischen Phrasierungen und Kommentaren. Die „Wasserspiele“ hingegen, in denen Moore selbst mit Trinkglas und Schlauch (auch mit Handschellen) vor Ort an seine Glanzzeiten als nervensägend invasiver Prankster gegenüber abgehobenen Bossen und Obrigkeiten anknüpfen will, gelingen nur so so.
Da ist auch viel Rückschau auf dem Weg zur Weitergabe im Spiel: auf Moores eigene Filmlaufbahn und deren bekannte Topoi und Themen. Rückblick mit Flint, Flinte, Finte – Highschool-Massaker, schwerbewaffnete Trump-Fans und immer wieder Archivbilder, teils auch ganz alte. Die schwarzweißen Schmalformat-Lehrfilme für den Schuleinsatz zum Thema „Vergleich zwischen Demokratie und Despotie“ in Alltagssituationen – den Teenager Moore hatten sie angeödet (und im Kalten Krieg waren sie sicher auch antikommunistisch intendiert); aber heute scheint ihre liberale Staatsbürger*innenkunde, so führt eine Vergleichs-Sequenz aus, das schon gewohnte Ausmaß der Alltäglichkeit rassistischen Hassverhaltens deutlich zu machen.
Und dann ist da die Nazi-Sequenz. Moores Zusammenmontieren von Hitlers Bild mit Trumps Rednerstimme ist natürlich nicht sonderlich luzid; als im Schnittprogramm erstelltes Insinuieren eines Zusammenhangs ist das so vordergründig wie umgekehrt die Eingangsspekulation, schuld an Trumps Präsidentschaft sei letztlich die Entertainerin Gwen Stefani, ostentativ weit hergeholt, sophistisch untermauert und dabei nicht sonderlich lustig ist. Aber danebener als der Hitler-Vergleich ist das Loblied auf die Spätphase der Weimarer Republik, das Moore singt, um – geschichts- und sinnwidrig – die Plötzlichkeit der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung zu verdeutlichen (das erinnert an die naive Idyllisierung europäischer Staatsmächte, Sozialsysteme und – ganz unhistorisch, unpolitisch – „Mentalitäten“ in Moores Bildungsreisefilm „Where to Invade Next“, 2015).
Aber Vergleiche machen Sinn, wenn sie Parallelen und Unterschiede nachvollziehen helfen. Die Legitimierung dieses Verfahrens holt Moore sich von Kalibern wie dem Historiker Timothy Snyder oder dem letzten noch lebenden Ankläger aus den Nürnberger Prozessen 1945/46 gegen die deutschen (und österreichischen) Hauptkriegsverbrecher. Die USA seien nur ein weiteres 9/11 von einem Ausnahmezustand, der in Diktatur münden würde, entfernt, heißt es einmal, zu Bildern des 1933 ausgebrannten Berliner Reichstags-Kuppelsaals. Nicht alles Vergleichbare ist gleich: Die Nazis brauchten damals die Reichstagsbrandstiftungs-Verschwörung, um auf dem Weg zur totalen Macht den Notstand zu verhängen. Trump droht 2019 lautstark, dass ihm dazu – als innenpolitischer national emergency im Kampf gegen ein lästiges Parlament – schon eine Budgetkrise genügen würde. (Und der neuen Von Papens, die rechtsnationale Demagogen in hohe Machtpositionen zu hieven bereit sind, um sie für gemäßigt autoritäre und neoliberale Zwecke zu instrumentalisieren, gar noch in dem Glauben, sie so „zähmen“ – davon stehen mehr als genug bereit und sind in manchen Alpenländern Kanzler.)
In einigen Kritiken ist zu lesen, Moore sei letztlich selbst wie Trump (der in „Fahrenheit 11/9“ gar nicht so viel vorkommt, aber sich halt als Themen anschiebende Gegner-Ikone eignet, zumal aufgrund der eben angesprochenen Unverhohlenheit seiner Aggressionsäußerungen – einen teilweisen Fokus auf ihn und erwartungsgemäße Montagen irrer sexistischer oder meinungsfreiheitsfeindlicher Sager kann sich ein gschmackiger Kino-Entwurf wie der Moore’sche nicht entgehen lassen, und, noch einmal: Es ist was anderes, sich das im Fernsehen oder online anzuschauen – oder mit vielen anderen auf der großen Leinwand. Zweiteres ist leiwander). Moore sei in seinen Strategien und Taktiken, seiner Politik also, als Filmemacher und Kultur-Ikone so eitel, sprunghaft und populistisch hochverdichtend wie Trump als Dealmaker und Machthaber. Diese Einschätzung klingt raffiniert und reflektiert, sagt aber nur begrenzt etwas aus, denn: Stil und Ziel einer Politik sind zwar unweigerlich aufeinander bezogen, aber auf komplexe Art, sprich: Sie sind vor allem nicht dasselbe. Welches Ziel, welcher Sinn bildet sich da also jeweils? Da sind das egalitaristische Pathos des einen Großmauls und der oligarchische Führermythos des anderen doch, gelinde gesagt, zwei Paar Schuh.