Das schmächtige Mädchen mit der gekrümmten Haltung und dem schönen Gesicht blickt ins Leere. Schweigsam und in sich gekehrt liegt es im Bett. Sein intensiver, durchdringender Blick geht ins Abwesende. Olga will nicht in die Schule. Was sie kurz darauf im Zimmer des Großvaters erlebt, sehen wir nicht, weil die Kamera im Flur vor den verschlossenen Türen verharrt. Olga erbricht sich. Nach einem Selbstmordversuch landet sie in einer psychiatrischen Einrichtung. Dort wird sie von den andern Jugendlichen brutal misshandelt. Wenn diese miteinander schlafen, um in der gleichgeschlechtlichen Lust sexuelle Freuden zu teilen, sondert sie sich ab. Olga (Michalína Olszańska) ist als junge Frau eine radikale Einzelgängerin, die unter ihrer Beziehungslosigkeit leidet und ihre Misanthropie theoretisch verklärt. „Würde es uns nicht besser gehen, wenn wir nicht versuchen würden, einander zu verstehen?“, zitiert sie aus Graham Greenes „Der stille Amerikaner“. Nur in der Beziehungslosigkeit sei Freiheit erfahrbar.
In Briefen, die sie schreibt, erfahren wir von Olgas Innenleben und Gedankenwelt. Da sie kaum spricht, bildet diese schonungslose Selbstreflexion einen maßgeblichen Zugang zu ihrer komplizierten, früh zerrütteten Persönlichkeit, die so undurchdringlich ist wie ihr makelloses Gesicht. Die äußeren Handlungen und Begebenheiten verhalten sich dazu komplementär, ordnen sich als nüchterne, unkommentierte Ausschnitte aber erst allmählich zu einem irgendwie chronologisch geordneten Verlaufsbild. Aufgewachsen ohne Vater und mit einer gefühlskalten Mutter, die als Ärztin arbeitet, leidet Olga unter Sprachlosigkeit und Isolation. Eine nur mäßig eingerichtete Waldhütte, in der sie nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus eine Zeitlang allein lebt, wird zum Symbol ihrer Einsamkeit. In dieser Phase arbeitet Olga, die nicht immer zuverlässig ist, als Fahrerin und geht verschiedene homoerotische Beziehungen ein, die aber alle nicht von Dauer sind. Ihre sexuelle Direktheit irritiert und verschreckt. Olga opponiert bewusst gegen Konventionen.
Auf der einen Seite handelt der Film „I, Olga“ (Já, Olga Hepnarová) von einer rebellischen jungen Frau und Außenseiterin in einer engen, von zwischenmenschlicher Kälte imprägnierten Gesellschaft. Andererseits rekonstruieren die tschechischen Filmemacher Tomáš Weinreb und Petr Kazda mit dokumentarischer Schnörkellosigkeit und in monochromen Schwarzweißbildern einen historischen Fall: 1973 ermordet die erst 22-jährige Olga Hepnarová bei einer Amokfahrt auf dem Prager Strossmayerplatz acht Menschen und verletzte, teils schwer, zwölf weitere. In einem Bekennerschreiben, einem Dokument ihrer absoluten Hoffnungslosigkeit, bezeichnet sie sich als entmenschlichtes Opfer, das sich mit seiner schockierenden Tat für erlittene Qualen rächen möchte: „Ich bin eine Einzelgängerin. Ein zerstörter Mensch. Ein von Menschen zerstörter Mensch. (…) Ich habe die Wahl: mich zu töten oder andere zu töten. Ich wähle: die Rache an denen, die mich hassen. (…) Die Gesellschaft ist zu gleichgültig, zu Recht. Mein Urteil ist: Ich, Olga Hepnarová, das Opfer eurer Bestialität, verurteile sie zum Tode.“
Für ihre mörderische Rache wird die ein Jahr zuvor Verurteilte im März 1975 im berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác durch den Strang hingerichtet. Es ist dies zugleich das letzte vollstreckte Todesurteil an einer Frau in der früheren Tschechoslowakei. „Wenn sie mich hängen, hat meine Tat einen höheren Wert“, sagt die Delinquentin überraschend selbstbewusst vor Gericht. Auch wenn die beiden vom Dokumentarfilmschaffen herkommenden Regisseure die ausschnitthaften Begebenheiten eines freudlosen Lebens betont unterkühlt und distanziert schildern, formulieren sie doch einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Missbrauch und pathologischer Vereinzelung. Letztere, so legt es zumindest der Schluss des Films nahe, korreliert überdies mit einer offensichtlich schizophrenen Erkrankung Olgas, deren Hilferufe jedoch unbeantwortet bleiben. Das von ihr ausgehende unverständlich Fremde eines Individuums bleibt indessen konstitutiv. Wenn Olga am Morgen des Attentats beim Verlassen ihrer Gemeinschaftsunterkunft eine noch schlafende Zimmergenossin sanft zudeckt, wirkt diese im Verlauf des Films einzige Geste menschlicher Zuwendung wie ein Versprechen auf eine vielleicht mögliche, aber für die Protagonistin vergebliche Hoffnung.