Als Sitting Bull tödlich getroffen im Schnee liegt, beginnt sein Zirkuspferd, ein Geschenk Buffallo Bills, zu tanzen. Elegant und anmutig hüpft und tänzelt es rhythmisch durchs Bild. Es ist eine starke Szene von fast Werner-Herzogschen Ausmaßen, die einen – gerade in seinem Musikeinsatz – bisweilen recht konventionellen Film doch noch ziemlich eigensinnig enden lässt. Sitting Bulls Stamm, so erfährt man kurz darauf, habe im Tanz des Tieres eine göttliche Botschaft gesehen und die Flucht ergriffen. Das Publikum indes weiß: Das doofe Pferd war im Zirkus Buffallo Bills schlichtweg darauf konditioniert worden, nach jedem abgefeuerten Schuss herumzutänzeln.
Dieses Wissen verleiht der ohnehin leicht absurden Szene zusätzlich noch etwas Befremdliches. Natürlich: Es war Sitting Bulls Lieblingspferd! Dennoch lässt sich im feierlichen Tanz des dressierten Pferdes, dessen Verhalten seiner Natur so krass zuwiderläuft, ein Bild des endgültigen Sieges der vermeintlichen Zivilisation des weißen Mannes über die Lebensweise Sitting Bulls und der Sioux erblicken. Dabei erscheinen die Indianer in den Reservaten ohnehin bloß noch als Schatten ihrer selbst: viele der großen Häuptlinge sind bereits verstorben und man trauert ihnen – wie z.B. Crazy Horse – wehmütig nach.
Den weißen Männern, für deren Sieg der Tanz des Pferdes einsteht, zollt der Film überhaupt große Aufmerksamkeit, ergeht sich aber dankenswerterweise nicht in allzu simplen Feindbildern: Auch weiße Frauen inszeniert Susanna White als Rassismen pflegende Figuren, derweil männliche Rothäute, allen voran der Häuptling Sitting Bull, einen chauvinistischen Stolz pflegen und sich von Frauen – zumindest vor Publikum – nichts befehlen lassen. Einzig die Indianerinnen scheinen als gesellschaftliche Gruppe eine Reinheit und Unschuld aufzuweisen, allerdings gibt ihnen der Film am wenigsten Raum.
Erzählt wird in „Die Frau, die vorausgeht“ die Geschichte der Künstlerin und Bürgerrechtlerin Caroline Weldon, die ungefähr zur Zeit der Ghost Dances ausgezogen ist, Sitting Bull zu porträtieren. Zum Zeitpunkt, als eine Kommission eine Verkleinerung der Indianer-Reservate durchsetzen will, erschien die Ghost-Dance-Bewegung freilich als provozierende Revolte. Sitting Bull schlug Weldons Warnungen, dass ihm die Bewegung angelastet werden und zu seiner Verhaftung führen könnte, jedoch in den Wind. Es kam zur Spaltung – und Caroline Weldon behielt Recht: Sitting Bull sollte verhaftet werden und wurde dabei erschossen.
Dass Susanna Whites Film nach einem Drehbuch des ganz offenbar politisch recht engagierten Steven Knight („Dirty Pretty Things“ (GB 2002, Regie: Stephen Frears)) diese Ereignisse nur sehr frei behandelt, macht bereits die Namensgebung klar: Caroline Weldon, die eigentlich Susanna Carolina Faesch hieß, wird hier in Catherine Weldon umgetauft. Und im Gegensatz zu Caroline Weldon reist Catherine Weldon nicht als ausgesprochen emanzipierte und geschiedene Frau in die Indianer-Reservate, sondern als Witwe, die sich nun erst zaghaft traut, ihren Kopf durchzusetzen. Dramaturgischer Aufhänger ist gewissermaßen die Wandlung von einer arg naiven und blauäugigen hin zur starken Figur, die sich gegen massive Anfeindungen durchzusetzen lernt: Jessica Chastain – für Terrence Malick einst die personifizierte weibliche Güte in „Tree of Life“ (USA 2011), später jedoch mehr und mehr auch als eiskalt-berechnende, harte Frau besetzt – ist für diese Rolle freilich eine ausgezeichnete Besetzung. Zu Zeiten der #MeToo-Bewegung liefert dieser Aufhänger vielleicht auch die richtigere Geschichte, die man aber eben nicht als Geschichtsstunde betrachten sollte.
Leider gesellt sich auch noch der Anflug einer Romanze zwischen Weldon und Sitting Bull hinzu, der zwar nie in eine echte Liebelei überführt wird, aber zu den vorhersehbarsten Kniffen des Films zählt. Dass er immer wieder einmal ironisch mit Erwartungshaltungen spielt – und etwa Sitting Bull in der Kleidung des weißen Mannes einführt – kommt ihm hingegen zugute, funktioniert aber keinesfalls immer. Der Witz, mit welchem Weldon anfangs mehrfach als naiv (und eigene Vorurteile und positive Rassismen pflegend) geschildert wird, fällt beispielsweise weit weniger originell aus. Nur ansatzweise originell erscheint auch der Umstand, dass sich ein vermeintlicher Antagonist schließlich als weniger eindimensional erweist: Der schon in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (USA 2017, Regie: Martin McDonagh) als durchaus tragischer Rassist besetzte Sam Rockwell gibt hier Colonel Groves, der Weldon als Erster und noch während ihrer Anreise deutlich die sofortige Abreise nahelegt – und entpuppt sich zunehmend als Schuldiger, den seine Taten immerhin umtreiben, was jedoch etwas schablonenartig und oberflächlich in Szene gesetzt wird.
So ist „Die Frau, die vorausgeht“ letztlich ein etwas durchwachsener Film: Brillante Szenen blitzen nur kurz in hochsolider Konventionalität auf und die etwas verkrampft um Vielschichtigkeit bemühte Anklage des Rassismus und des Sexismus bleibt bei allen Sympathien letztlich eben doch etwas verkrampft. Aber als Western, der nah am Zeitgeist liegt, ist er ebenso aktuell und spannend wie auch als Film, der zugleich den Jahrzehnte währenden Wandel der Filmemacherin von der TV-, Kurz- und Dokumentarfilm-Regisseurin zur Kino-Langspielfilm-Regisseurin gehörig stärkt: Er ist hochgradig charakteristisch für die Filmkultur einer Zeit, in der zunehmend mehr Frauen die jahrzehntelang vornehmlich von Männern besetzten Regiestühle erobern.