Jeden Tag werden mehr als 350.000.000 Bilder auf Facebook hochgeladen. 300 Stunden Videomaterial sind es pro Minute bei YouTube. Instagram kommt einer Statistik aus dem Jahr 2016 zufolge täglich auf etwa 80.000.000 Fotografien, Tendenz steigend. Weltweit nutzen derzeit über 2,5 Milliarden Menschen Soziale Medien, veröffentlichen und teilen dort Inhalte. Doch nicht alles, was geschrieben oder hochgeladen wird, bleibt sichtbar. Im Hinterzimmer des Internets durchforstet eine Schar an Billiglöhnern die Bilderflut und sortiert die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Mehr als 100.000 sollen es sein, Content Moderatoren genannt, vornehmlich von den Philippinen. Einige von ihnen haben die Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck seit 2016 ausfindig gemacht und interviewt. 2017 hat Riesewieck zu den Recherchen das Buch „Digitale Drecksarbeit“ (dtv) veröffentlicht, in Dortmund das Theaterstück „Nach Manila“ inszeniert und Vorträge gehalten. Nun folgt mit „The Cleaners“ die cineastische Aufarbeitung der Thematik.
Als „gigantische Schattenindustrie digitaler Zensur“ wird das Content Moderating im Presseheft beschrieben und ganz im Sinne dieser Wortwahl, gräbt sich „The Cleaners“ tief in die Ästhetik des Neonoirs ein. Architektur rahmt die Figuren, sperrt sie in ein Labyrinth aus Bürowänden, hinter denen dem Auge nichts als Dunkelheit begegnet. Einzige Lichtquelle bleibt der Computermonitor, der die Gesichter der Content Moderatoren eisig aus der Finsternis herausschält, während sie in wenigen Sekunden ihre Entscheidung „ignore“ oder „delete“ für ca. 25.000 Bilder (von der niedlichen Katze bis zur Enthauptung) pro Arbeitstag treffen müssen. Sie thronen, das zeigen die ersten Bilder des Filmes, wie dunkle Ritter hoch über der grell leuchtenden Stadt in einem der zahlreichen Bürotürme Manilas. Doch trotz ihres enormen Einflusses auf die Sozialen Netzwerke hat die erhöhte Position nichts Machtvolles an sich. Ganz im Gegenteil spricht aus jedem Blick der im Film auftretenden Arbeiter Müdigkeit und Erschöpfung.
Von diesem Punkt aus entwirrt „The Cleaners“, einem Politthriller gleich, langsam ein Netz an Hintergründen und fatalen Zusammenhängen. Er veranschaulicht wie Internet-Konzerne die schwierige, kontextsensitive und als zu komplex für Algorithmen eingeschätzte Aufgabe der Beurteilung von Bildern, Videos und Kommentaren outsourcen, ohne sich um die psychischen Schäden der Clickworker zu kümmern. Er fragt nach den strengen, oftmals absurden und im amerikanischen Puritanismus verhafteten Richtlinien, die den Content Moderatoren wenig bis keinen Raum für Intuition lassen und zeigt, wie weich die Grenze zwischen sinnvoller Kontrolle und politischer Einflussnahme tatsächlich ist. Das beginnt bei verfehlten Einschätzungen satirischer oder historischer Materialien, die ohne ihren spezifischen Kontext ausschließlich aufgrund abgebildeter Nacktheit gelöscht werden und endet bei Videos von Kriegsverbrechen, die NGOs in mühevoller Kleinarbeit als Beweismittel vor Ihrer endgültigen Löschung bewahren, oder mit Verträgen über das Blockieren bestimmter Nachrichten zwischen Machthabern totalitärer Staaten und den Betreibern der Sozialen Netzwerke.
Block und Riesewieck bemühen sich redlich darum die verschiedenen Facetten der Zensur und die mit jedem Jahr länger werdenden Schatten der Internetindustrie in ihrem Film auszuleuchten. Es bleibt jedoch am Ende ein Gefühl des Kurzangebundenseins, das sich einerseits natürlich aus dem Bemühen um mehr oder weniger sinnvolle Verknappung, vornehmlich jedoch aus der Tatsache speist, dass alles in „The Cleaners“ dem Prinzip des Thrillers untergeordnet wird. Die Beschaffenheit des Filmes mit seinem Low-Key-Stil und den im Neonlicht erstrahlenden Straßen, die Michael Mann nicht hätte besser einfangen können, den manchmal dröhnenden Elektrosounds, dem Verzicht darauf, den ProtagonistInnen aus ihrem beruflichen Umfeld suchend ins Leben zu folgen, den Datenstromanimationen und der klaren Entlarvung eines Bösewichts, der im Verborgenen agiert, formen ein Bedrohungsszenario, das in seiner Lust auf Spannung allzu sehr den Hang zum Konspirativen aufweist.
„The Cleaners“ folgt hier klar dem Trend der zunehmenden Kommerzialisierung des Dokumentarfilmes. In der bewussten Anpassung an die vermeintlichen Erwartungen eines möglichst großes Publikums wird er ungewollt ein Dokumentarfilm über Bilder, dem es selbst an Bildern fehlt, der seinem Grundkonflikt des Zeigens und Verbergens sowie der Frage nach dem Wahrheitsgehalt eines Bildes ästhetisch nicht begegnet. Es ist ein bereinigter Film, der außerhalb seiner düsteren Machart nicht viel Offenheit zulässt, entscheidende Fragen unberührt lässt und dem deshalb viel abhanden kommt. Die spannungsgeladene Inszenierung suggeriert, dass Unternehmen wie Facebook moralisch agieren müssten, wohingegen eine nüchternere Betrachtungsweise den Schluss nahegelegt hätte, dass die Internetkonzerne nur der Logik des ihren zugrunde liegenden Systems folgen, in dem Moral gar nicht vorkommen kann.
Bei allem aufklärerischen Anspruch ist Blocks und Riesewiecks Debütfilm demnach ein wenig so wie das Objekt seiner Betrachtung: Alle verstörenden Bilder wurden gelöscht, um eine zwar beunruhigende, aber möglichst vorfallfreie User Experience zu schaffen. „The Cleaners“ wird damit zur Veranschaulichungshilfe einer schwerwiegenden Krise der Digitalisierung ohne eigene ästhetische Position, taugt als Geste der Betroffenheit, ist solides Handwerk künstlerisch angehauchter, journalistischer Arbeit. Das reine auf Spannung und damit Unterhaltung getrimmte Konstatieren eines Missstandes macht aus der notwendigen Konfrontation des Publikums aber etwas Gefälliges, Einlullendes. Ein bisschen Kopfschütteln hier, etwas Gänsehaut da und dann doch wieder das altbekannte Schulterzucken. Vor allem, weil der hehren Aufdeckungsarbeit nichts nachfolgt und das sollten wir uns einfach nicht mehr leisten.