Die drei Texttafeln zu Beginn geben dem gezeigten Geschehen nicht nur einen konkreten historischen und geografischen Ort, sie bereiten überdies auf den Tonfall des Films vor. Auch wenn das Bier und der Schnaps später in Strömen fließen werden, erzählt Käutner seine Geschichte, die nicht weniger will als ein düsteres Gesellschaftspanorama der Bundesrepublik im Jahre 1960 zu entwerfen, betont nüchtern und kühl.
Sohnen ist ein Kaff in der Pfalz, das durch einen Militärflughafen der US-amerikanischen Besatzungsmacht zu einem transnationalen Transitort wird. Niemand ist hier wirklich zuhause, niemand kann hier ankommen, und niemand will hier bleiben. Die Menschen sind Treibgut im Strom der Welt- und Landesgeschichte. Sie kommen aus den verschiedensten Teilen der USA, der BRD – oder auch aus Rostock. 261 EinwohnerInnen gab es einst, ihre Zahl hat sich verdoppelt. Die meisten der neu hinzugekommenen sind Frauen. Meistens verdienen sie ihr Geld damit in den inzwischen elf Nachtlokalen des Ortes den GIs zu Diensten zu sein.
Wo die Vorstellung der großen Liebe als Fluchtpunkt der Sehnsüchte bei Käutner des Öfteren von vornherein ziemlich ramponiert ist, suchen hier nur noch die einen den schnellen Sex und den schnellen Rausch, die anderen das schnelle Geld, mit dem sie hoffen, eine Sicherheit kaufen zu können, die es nicht gibt. Um Adornos berühmtesten Aphorismus scheint es hier niemandem mehr zu gehen. Gut soll das Leben sein. Egal auf welcher Seite des Gesetzes, des Tresens oder der Transaktion von bedrucktem Papier mir Wasserzeichen gegen Absicherung und Körperlichkeit man oder frau eben steht.
In „Himmel ohne Sterne“ (1955), Käutners großem Film über eine Liebe, die die innerdeutsche Grenze zu transzendieren versucht, aber letztlich nicht sein kann, gab es immerhin noch das Melodram als Möglichkeit eines Auswegs, der schließlich keiner ist. Hier hingegen liefert er eine eiskalte und messerscharfe Analyse der Verhältnisse, die es unmöglich machen, dass zwei Menschen zueinanderfinden. Das Leben, das hier nicht mehr zählt, ist zunächst das eines Dalmatiners. Und auf den Hund im schwarzen Kies kommt am Ende auch das Protagonistenpaar.
Sie heißen Robert (Helmut Wildt) und Inge (Ingmar Zeisberg). Robert ist das Zentrum des Films, der sich um ihn herum entspinnt. Er arbeitet als Kiesfahrer für die Amerikaner – wobei er immer mal wieder eine Fuhre gewinnträchtig verschwinden lässt. Eines Nachts trifft er dabei unerwartet auf Inge, mit der er vor Jahren liiert war. Sie befindet sich nun in einer (auf monetären Zuwendungen basierenden) Beziehung zu einem Amerikaner in hoher Stellung. Robert inszeniert geschickt eine Autopanne, die den Mann nachts im sprichwörtlichen Regen stehen lässt. Als eiskalt kalkulierender Kopf wird es für ihn unerlässlich, sie mit in den Ort zu nehmen. Zu seinem Vorteil ist der dritte Sitzplatz belegt von einer neuen Liebschaft.
Das Beziehungsviereck, mit dem der Film seine Figuren vorstellt, wird im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen. Käutner setzt die blonde Frau, die ihren Rausch ausschläft, bedeutungsvoll zwischen Robert und die dunkelhaarige Inge. Dennoch füllen die beiden die Fahrerkabine des LKW mit einem Knistern, das klarmacht, dass es das, was sie einst beieinander fanden, in ihren neuen Verbindungen nicht gibt.
Übrigens sagt einmal jemand zu Robert: „Sie sind ja einer.“ Er antwortet: „Ja, davon gibt’s viele.“
Weil eine jüdische Figur, die in einem der Lokale verkehrt, und deren KZ-Tätowierung auf dem Arm an einer Stelle zu sehen ist, als „Saujud“ beschimpft wird, musste die entsprechende Szene vor der Premiere entfernt werden. Die ursprüngliche Version gibt es seit einiger Zeit von Concorde auf DVD und Blu-ray.
Das Berliner Zeughauskino präsentiert vom 12. April bis Ende Juni eine sehr umfassende Retrospektive mit Filmen von Helmut Käutner, der leider bis heute viel zu oft übergangen wird. Wie so oft in diesem Kino werden die meisten Filme von 35mm-Kopien gezeigt.