Es waren turbulente Jahre Anfang der 1990er Jahre, als das alte Blockdenken des Kalten Krieges sich für einen Wimpernschlag der Geschichte in Luft auflöste und politisches Tauwetter durch Osteuropa zog. Die Menschen in West- und Ostdeutschland waren noch glückstrunken oder schon latent verkatert nach der Wiedervereinigung und jenseits des ehemals eisernen Vorhangs bröckelten nach und nach die kommunistischen Gewissheiten vergangener Generationen.
Hierzulande eher den Randnotizen zugehörig war die erste eigene Präsidentschaft Georgiens, die noch vor der Auflösung der UdSSR bereits im Mai 1991 installiert wurde. Präsident Swiad Gamsachurdia brachte mit seinem autoritären Führungsstil, der insbesondere einheimische Minderheiten hart anging, allerdings sowohl Nationalisten wie Reformkräfte gegen sich auf. Ein Militärputsch nach nur wenigen Monaten war die zwingende Konsequenz, Gamsachurdia floh mit seinen treuesten Anhängern in die Berge.
Dies ist der Status quo zu Beginn von George Ovashvilis drittem Spielfilm „Vor dem Frühling“, der sich nach dem poetischen Festivalliebling „Die Maisinsel“ einem ungleich größeren Thema widmet. Mit sparsamen Worten führt Ovashvili in seine Erzählung ein und deutet damit die erratische Stille an, die große Teile des Films bestimmen werden. Der Präsident ist ein undurchdringlicher Charakter und die Frage bleibt offen, ob dies die Sprachlosigkeit eines entmachteten Machtmenschen ist oder eine grundsätzliche Disposition. Nur in vereinzelten Momenten blitzt so etwas wie Lebendigkeit oder gar Lebensfreude auf, ansonsten gilt als alles bestimmende Maxime ein stoisches „immer weiter“, über Gebirgsketten, durch Flüsse und Wälder.
Die Antagonisten bleiben ebenso unsichtbar wie allgegenwärtig, als mutmaßliche Verfolger aus den opponierenden Kräften und mehr noch die unwirtliche wie unberechenbare Natur, die es zu bezwingen gilt, die jedoch auch niemals nachzugeben scheint. Zwischen dem Sisyphos-Mythos und unbestimmter christlicher Symbolik entspinnt sich eine Reise, die mit fortschreitender Dauer zu einer eigentümlichen Kreisbewegung ins Innere führt – und zu einer Ausweglosigkeit, die einen bis heute ungeklärten Tod zur Folge hat.
Während der Originaltitel „Khibula“ den Endpunkt des (Lebens-)Weges benennt, setzt „Vor dem Frühling“ einen zarten Hoffnungsschimmer, der auch immer wieder in die Filmhandlung einbricht und den Präsidenten weitermachen lässt. Die Möglichkeit der Rückkehr ins Amt wird bestärkt durch Begegnungen mit dem einfachen Volk, in kleinen Dörfern und Hütten am Wegesrand, in denen schnell noch das Gemälde des Herrschers geradegerückt wird und seinen Begleitern, man möchte fast Jüngern sagen, das Abendmahl bereitet wird. Die Aufeinandertreffen mit Sympathisanten, aber auch Anhängern der Gegenseite, sind das Herzstück des Films, der in diesen Momenten aus seiner Deckung kommt und die Menschen hinter den Rollenbildern zeigt. Und hier gewinnt „Vor dem Frühling“ eine Allgemeingültigkeit, die über den realen Fall des georgischen Präsidenten hinausweist. Eine bildgewaltige Naturerfahrung aus einer filmisch kaum erschlossenen Region ist es ohnehin.