Bereits im ersten Bild sind Verletzung und Einsamkeit vereint: Ein grau gezeichneter Mann kauft eine Menge Flaschen Alkohol für seine Party und auf die scherzhafte Frage der Verkäuferin, ob sie auch eingeladen sei, folgt mit einem freundlichen Lächeln lapidar: „Nein.“
Was zu Beginn arrogant anmutet, soll sich später als soziale Befangenheit herausstellen: Gert, so heißt der Mann, schmeißt eine Party, aber die wenigen Gäste, allesamt ehemalige Schulfreunde, kommen nicht bloß aus unschuldiger Feierlaune. Man wartet auf den heimlichen Star des Abends, der nicht erscheinen wird, Robbie. Die zeitschindenden Versuche Gerts, die sichtlich unmotivierte Schar mit Wodka, Jimi Hendrix und ständigen Anrufen auf Robbies Handy milde zu stimmen, tragen dabei eher zum Austausch dezenter Feindseligkeiten untereinander bei.
Mit fast fetischistischer Beharrlichkeit erwartet man Robbies Ankunft. Sonst gibt es nicht viel zu sagen, und als irgendwann offensichtlich wird, dass Robbie (es obliegt den Lesern, ihn als das einstige Take-That-Mitglied zu identifizieren) sich in seinem eigenen Club Harem feiern lässt, löst sich die Gruppe in Hochgeschwindigkeit auf.
Der 1986 geborene, belgische Zeichner Brecht Evens gestaltet die Party-Orte als weitläufige Räume des ritualisierten Exzesses und findet in seiner dritten Comicarbeit (die 2010 vom Fumetto Festival mit einer Ausstellung geadelt und außerdem auf dem Comicfestival Angoulême mit dem Preis für das „Innovativste Werk“ ausgezeichnet wurde) eine Bildsprache, die die Dialektik von Wunsch und Zwang, von Freiheit und Fesseln auf bedrückende Weise schön stilisiert.
Aquarelliert und ohne einen konturierenden Strich situiert er die Figuren in offene Panels. Stimmen werden nicht durch Sprechblasen, sondern bloß durch Farben zugeordnet, wie auch die Figuren mittels Farbnuancen charakterisiert und unterscheidbar werden. Das ist ein großer Reigen, in dem immer wieder alles – Farben, Figuren, Hintergründe, Schatten, Gegenstände und auch Töne – miteinander zu verschmelzen droht. Alles ist bedrückend pittoresk, denn auch die Party-Räume sind sozial hierarchisiert oder anders gesagt: mythologisch besetzt.
Der Kontrast zur verhaltenen Wohnungsparty samt ignoriertem Gastgeber folgt im zweiten Teil. Die frisch verlassene Noemi geht zweifelnd in den Club Harem, um ihr angeschlagenes Ego zu pushen und gerät zufällig an Robbie, dem alle Besucher zu Füßen liegen. Es kommt zum One-Night-Stand und endet tags darauf wieder im Harem, den im dritten Teil auch Gert aufsucht, um mit Robbie, eingeschüchtert von den majestätischen Backstageräumen, in alten Jugendtagen zu schwelgen, während drei Stockwerke tiefer, unter der Küchen- und Orgienetage, die Partymeute tobt.
Der Plot dichotomisiert nicht die Lebenswelten in dekadenten Glamour und bedrückenden Alltag. Bei Evens verhalten sich alle gleichermaßen bescheuert, selbstsüchtig, intrigant, ängstlich, flüchten panisch vor der Erkenntnis, dass unter dem Frust der identitären Last noch mehr Einsamkeit lauert. Evens übersetzt diese Fluchten in wunderschöne Bilder, die ironisch ihre Doppeldeutigkeit ausstellen. Die Farbenpracht im Club Harem gleicht einem Refugium für die Körper, die buchstäblich geschluckt werden. Gleichzeitig besteht kein Zweifel daran, dass einzig Robbie, stets grinsend und immer höflich, der König des Spektakels bleibt. Die Gäste sind die Statisten seines Films, und mit diesen Worten bittet er auch Noemi, irgendetwas von sich preiszugeben, was sie über diesen Status erhebt. So bleibt er der Regisseur einer dekadenten Veranstaltung, deren Flüchtigkeit nur ihm bewusst zu sein scheint. Die Entfremdung lauert nicht mehr unter der schillernden Oberfläche des Rauschs, stattdessen hat sie sich das Gewand der Ekstase übergeworfen. Wenn sich im letzten Bild die Blicke aller Anwesenden neugierig auf Neomis Freundin richten, die während ihrer Arbeit im Friseursalon am Telefon euphorisch von der vergangenen Nacht palavert, ist völlig undurchsichtig geworden, in welcher gesellschaftlichen Sphäre wir uns eigentlich befinden – keine Arbeit ohne Party und umgekehrt.
Dieser Text erschien zuerst in der taz.
Brecht Evens: „Am falschen Ort“.
Aus dem flämischen Niederländisch von Andreas Kluitmann. Reprodukt, Berlin 2010. 176 Seiten, 24 Euro