Mühsam und beschwerlich klettert ein Mann in horizontaler Richtung durch die Zweige und dünnen Äste einer Baumgruppe, die parallel zum Weg verläuft, diesen säumt. In einer anderen Szene, die in einer Stadt aufgenommen ist, raschelt und atmet es in einer Hecke neben dem Gehweg, als plötzlich derselbe Mann aus ihr hervortritt. In beiden Fällen verändert die ungewohnte Fortbewegung die Sicht auf die Welt und führt zu einer intensiveren Erfahrung. Für den schottischen Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy, der bei diesen Aktionen um Gleichgewicht und Stabilität ringt, liegt in diesem Perspektivwechsel die Schönheit der Kunst. Zugleich findet er in der geglückten Balance Momente der Klarheit und des Verstehens; wenn er sich etwa auf einer hohen Klippe gegen den heftigen Wind stemmt und in einem Augenblick von ihm umgerissen, im anderen aber förmlich getragen wird.
Fallen zu lernen, sei sehr wichtig, erklärt der bedächtig wirkende und in sich ruhende Goldsworthy in Thomas Riedelsheimers Film „Leaning into the Wind“. Sechzehn Jahre sind seit ihrem ersten gemeinsamen Projekt „Rivers and Tides“ vergangen, in denen die Zeit weitergearbeitet hat. Andy Goldsworthy erzählt von persönlichen Schicksalsschlägen und Einschnitten, die sein Leben durcheinander gebracht und seine Arbeit unklarer, vielleicht schwerer gemacht haben. Eine umgefallene Ulme in der Nähe seines Wohnortes in Dumfriesshire, die stellvertretend für das Sterben dieser Baumart steht, besetzt insofern seit Jahren den Mittelpunkt seiner künstlerischen Beschäftigung mit der Natur. Die Brüche und Risse im Holz des mächtigen Baumes haben sich auf ihn übertragen. Ihre sich verändernden Formen und Strukturen nimmt Goldsworthy in seiner Kunst auf, indem er ihre Sichtbarkeit und die Zeichen ihres Vergehens verstärkt; oder aber die Spuren der Wunden durch das leuchtende Gelb von Ulmenblättern für kurze Zeit abdeckt.
Einmal sind es rote Blüten, mit denen Goldsworthys assistierende Tochter Holly eine Hand des Künstlers „bandagiert“, bevor Wasser den „Blätter-Verband“ wieder abwäscht. Wie etwas gemacht ist, sich verändert und vergeht und wie diese konstanten Prozesse des Erneuerns und Bewahrens in der Natur sichtbar und verstehbar gemacht werden können: Diesen Fragen spürt Andy Goldsworthy physisch, sinnlich und meditativ nach. Manchmal braucht es dazu nur aufgewirbelten Staub, um einen Lichtstrahl für kurze Zeit zu bündeln und gewissermaßen symbolträchtig in eine sehr lebendige und zugleich ephemere Skulptur zu transformieren.
Leitmotivisch sind in Riedelsheimers schönem, erneut von der kongenialen Musik Fred Friths begleitetem Film deshalb jene Aktionen, in denen sich der Künstler bei einsetzendem Nieselregen ausgestreckt auf die Erde oder den nackten Asphalt legt und so seinen Körper zu einer Art Schablone macht. Wenn er sich kurz darauf wieder erhebt, hat der Regen die Umrisse modelliert, deren Linien für wenige Augenblicke eine trockene Fläche einschließen. Diese wirkt wie das kurzzeitige Nachbild einer Präsenz, die sich durch den Regen im nächsten Moment wieder verflüchtigt.