Und dann, es ist unfasslich, steht da mitten im Mangrovengeschlinge, umgeben von brackigen Wassern, umwimmelt von Schlangen, Amphibiengezücht, von stechenden Mücken und roten Ameisen, roh auf ein paar Pfähle gesetzt, aus Brettern zusammengehauen: ein Haus. Ein Haus? Na ja, ein Holzverschlag, mit einer Veranda davor, denn selbst in den Fiebersümpfen von Lousiana wäre ein Anwesen ohne Veranda, wie marode auch immer, ein Ding der Unmöglichkeit.
Für das Trio kleinkrimineller, unschuldig in die Mühlen der Justiz geratener Drop-outs ist die Holzkiste, für eine Nacht jedenfalls, ein Palast. Da ist der mangels Brutalität und Skrupellosigkeit gescheiterte Zuhälter Jack (John Lurie), Jim Jarmuschs Komponist und Darsteller seit „Permanent Vacation“, seinem ersten Film (1982). Da ist Tom Waits, der als arbeitsloser Radio-DJ Zack mit seinen mal hemmungslos zerkrächzten, mal dunkel brütenden Songs („Jockey Full of Bourbon“, „Tango Till They’re Sore“) durch Jarmuschs Südstaaten-Hölle rumpelt. Und schließlich der dritte im Bunde: Roberto Benigni, der die beiden anderen mit seiner explosiven Menschenliebe entwaffnet und das übergeschnappte, todesmutig wortwitzdrechselnde Dauergeplapper eines havarierten italienischen Touristen ungefiltert in die Story kippt.
„Down by Law“ (Jim Jarmusch, USA 1986) ist, nimmt man nur den Plot, ein kapitales Ausbrecher-Drama, das seine Protagonisten Hals über Kopf aus einer Gefängniszelle in New Orleans ins breiig-schwüle Jammertal des Mississippi-Deltas katapultiert. Drei verkrachte Haudegen, dazu der singuläre Jarmusch-Soundtrack und Robby Müllers streckenweise bis zum Exzess verlangsamte Schwarzweiß-Kamera ‒ es ist schon eine ziemlich tolle Mixtur, die „Down by Law“ zu einem Kultfilm der Achtziger gemacht hat.
Das Haus also. Und morgen hauen wir ab mit dem Boot, meint Jack. Aber wohin? Überall Moskitos, und wo keine Moskitos sind, ist Wüste, ist der Durst, sind die Verfolger, ist das Gekläff ihrer Bluthunde, Polizeihunde, Gefängnishunde, mal näher, mal ferner: das Gekläff der Zivilisation. Immerhin: ein Haus, drei Pritschen für eine Nacht, und Roberto Benigni stammelt mit ungebremstem Enthusiasmus Walt Whitman auf Italienisch, deklamiert Gedichte von Robert Frost. Zack lallt heiser, hechelt, schon halb schlafend: Yeah, Bob Frost… Ganz plötzlich geht es um amerikanische Literatur. Und Jack träumt vielleicht seinen Traum, den er Nacht für Nacht als Häftling träumte: vier schöne nackte Mädchen in einem weißen Cadillac, die ihn vor dem Gefängnistor erwarten.
Und ganz am Ende, an einem Kreuzweg, steht da wirklich ein richtiges Haus ‒ vier Wände, Tür und Fenster, eine Treppe, eine Veranda, darüber ein Schild: „Luigi’s Tintop“. Die Zikaden zirpen, die Nacht ist friedlich, als wäre sie aus Samt, und das Haus ist eine Insel aus Licht ‒ so adrett, einladend, und freundlich wie ein hingehauchter Wunsch, der obendrein noch in Erfüllung geht, denn im Haus lebt die bildhübsche Italienerin Nicoletta (Nicoletta Braschi), und in ihren Armen findet, wie sollte es anders sein, der besessene Menschenfreund Roberto sein Glück.
In der letzten Einstellung, wieder gabeln und trennen sich die Wege, nehmen Zack und Jack voneinander Abschied. Die allerletzte schreibt das Leben und ist bei Wikipedia nachzulesen: „Benigni and Nicoletta Braschi, whose characters fall in love in the movie, later got married in real life.“
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin.
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