Es ist natürlich eine verlockende Vorstellung: Der 40-jährige Robert Andrew Wicks begibt sich in eine Hypnosetherapie, deren Ziel eigentlich darin besteht, ihm endlich das Rauchen abzugewöhnen. Doch anstatt wie vermutet einen spirituell aufgeladenen Spuk zu erleben, befindet er sich urplötzlich wieder auf der High School und erlebt seine Teenagerzeit ein zweites Mal, allerdings mit dem erwachsenen Bewusstsein von seiner eigenen Vergangenheit. Das ist ein popkulturell schon oftmals erprobtes Szenario, und das weiß natürlich auch Robert, der sich sofort ans Zeitreiseparadoxon der „Zurück in die Zukunft“-Trilogie erinnert fühlt. Tatsächlich gleicht das Setting eher dem aus Francis Ford Coppolas High-School-Romanze „Peggy Sue hat geheiratet“ oder Jiro Taniguchis epochaler Jugendreflexion „Vertraute Fremde“.
Robert durchlebt seine Vergangenheit erneut, wenige Tage vor seinem ersten Zug an einer Zigarette. Angespornt von dem Glauben, in dieser Situation bloß triumphierend ablehnen zu müssen und damit die notwendige Katharsis auszulösen, versucht er die jungen Tage zu genießen, holt ein wenig versäumte Rebellion nach, verabredet sich mit dem Mädchen, das ihm früher so unnahbar erschien und begegnet den innerfamiliären Konflikten nun mit mehr Empathie. Trotzdem bleibt eine Leerstelle bestehen. Denn obwohl Robert der angebotenen Zigarette widersteht, kehrt er nicht in sein gegenwärtiges Leben zurück.
Und diese Leerstelle ist es auch, die aus der für Alex Robinsons Verhältnisse außerordentlich kurzen Erzählung im Gewand einer Coming-of-Age-Geschichte eine dramatische Introspektion uneingestandener Ängste zaubert. Bereits in seinen vorherigen, mehrere 100 Seiten umfassenden Mammutwerken „Tricked“ (unter dem Titel „Ausgetrickst“ ebenfalls bei der Edition 52 erschienen) und „Box Office Poison“ tänzelten die Figuren leichtfüßig am Abgrund, zusammengehalten von einem roten, schicksalhaften Faden, der sie vom Glück schlagartig ins existenzielle Elend führte.
Das erinnerte hier und da, insbesondere was die immer bedrohlichere und so unausweichlich erscheinende Engführung der individuellen Krisen betrifft, an „Magnolia“ von Regisseur Paul Thomas Anderson. Und so wie Anderson im Anschluss an „Magnolia“ zunächst einmal Understatement betrieb, indem er „Punch Drunk Love“ drehte, gewinnt man auch bei Robinson den Eindruck, dass sich hier ein Autor nach den zahlreichen Auszeichnungen für seine Vorgänger erst mal Luft verschaffen musste und sich nun an der kleineren Form versucht.
Der Plot kapriziert sich völlig auf Roberts jüngeres Pendant, und dank des Twists am Schluss gerät der heitere Duktus der Schulerlebnisse zum bitteren Durchmarsch ins Herz eines fortwährenden Traumas. Das wirkt umso bedrückender, weil Robinsons schwarzweißen Zeichnungen sich vor allem auf ein differenziertes Minenspiel konzentrieren und Robert eine unwissentliche Unschuld andichten, die er als Erwachsener nur mittels Verdrängung aufrechterhalten kann. Immer wieder brechen die Panels auseinander, überlappen sich in parallelen Montagen, als wollten die verborgenen Erinnerungen in den Erzählkosmos hineinbrechen.
Somit offenbart sich Roberts Odyssee durch seine eigene Vergangenheit auch für den Leser als unerwartetes Puzzlespiel, der wie Robert zum Schluss realisieren muss, dass das Rauchen die sicherlich unbedeutendste Chiffre dieser nachgeholten Sinnsuche war. Letztlich fügt sich also auch Roberts Figur in die Phalanx von Robinsons gebrochenen Alltagshelden, deren mannigfaltige Fluchtversuche stets und meist recht tragisch in der kathartischen Konfrontation mit ihrer mentalen Verdrängungspraxis enden. Dass Alex Robinson dieses Muster auch in ein im Kern humoristisches Sujet brillant zu integrieren schafft, ist nur geringfügiges Zeichen für seine exponierte Stellung innerhalb der gegenwärtigen amerikanischen Comicautorengarde.
Dieser Text erschien zuerst in der taz.
Alex Robinson: „Unvergessene Zeiten“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Plein. Edition 52, Wuppertal 2010. 128 Seiten, 12 Euro