Am Anfang steht der subjektive Blick, aus der Distanz gefilmt mit einer starren Handy-Kamera. Noch wissen wir nicht, wem er gehört und wer zeitgleich dazu die Bilder kommentiert, die eine Frau bei der Abendtoilette zeigen und kurz darauf einen Hamster, der unter den Wirkungen von Antidepressiva in seinem Käfig stirbt. Dann wird der Film scheinbar objektiv, behält aber die subjektive Perspektive bei, wenn er in der erhöhten Totale eine Großbaustelle zeigt, auf der, durch einen Erdrutsch verursacht, ein Unfall passiert. Dazu hören wir ein Telefonat, dessen einer Teilnehmer außerhalb des Bildrahmens sitzt und der unseren Blick teilt. „Happy End“, der neue Film von Michael Haneke, beginnt also mit Unfällen, Schicksalsschlägen, vielleicht Morden. Genauso wichtig ist aber, dass die im Wechsel von subjektiven und objektiven Blickrichtungen dargestellten Ereignisse nicht in verknüpfte Handlungen eingebettet sind, mithin kein Handlungszentrum beanspruchen.
Der renommierte österreichische Regisseur, der für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet wurde, ist ein Meister des fragmentarischen Erzählens und der produktiven Irritation. Weder erklärt er, was er zeigt, noch erleichtert er überhaupt die Identifizierbarkeit des Materials, das ungemein dicht und konzentriert inszeniert ist. Vielmehr muss der Zuschauer die losen Bruchstücke, in denen Bild und Ton oftmals entkoppelt sind und dadurch ihre „eigenen“ Geschichten erzählen, miteinander verknüpfen, auch wenn dann aus der Mehrstimmigkeit nicht unbedingt ein Ganzes entsteht. Überhaupt ist die Summe der Teile selbst ein Fragment. Es ist also nur bedingt legitim, hier so etwas wie eine linear erscheinende Geschichte zu erzählen.
Weil ihre depressive Mutter nach einem angeblichen Selbstmordversuch im Krankenhaus liegt, zieht die 12-jährige Ève (Fantine Harduin) zu ihrem Vater Thomas (Mathieu Kassovitz) nach Calais. Der Arzt und Klinikchef hat nach der Scheidung wieder geheiratet, betrügt aber auch seine neue Frau Anaïs (Laura Verlinden). Einmal sagt er zu Ève, die einsam und traurig ist: „Ich bin es nicht mehr gewohnt, eine Tochter zu haben.“ Die Distanziertheit, ja Liebesunfähigkeit des Vaters korrespondiert mit der emotionalen Verhärtung des Kindes, das in vielfacher Hinsicht vom Tod umlagert ist. Die Sprachlosigkeit zwischen den beiden entspricht wiederum der Gefühlskälte und den instabilen Beziehungen im größeren Kontext der großbürgerlichen Familie Laurent, die im Bausektor ihre Geschäfte macht und deren Wohlstand ein ganz selbstverständliches Distinktionsmerkmal ist, was viele Szenen vermitteln. Während der 85-jährige Familien- und Firmenpatriarch Georges (Jean-Louis Trintignant) unter seinem Alter leidet und nach Wegen sucht, sein Leben zu beenden, führt sein Tochter Anne (Isabelle Huppert) die Geschäfte und ringt zugleich mit ihrem Sohn Pierre (Franz Rogowski), der sich den Erwartungen seiner Mutter verweigert.
Was Michael Haneke in den komprimierten Dramen seiner Erzählfragmente mit kühl analysierendem Blick registriert, sind die Zersetzungs- und Zerfallsprozesse einer großbürgerlichen Familie, die in der Gefühlskälte zerrütteter Beziehungen gefangen ist. Im Rekurs und zugleich in der Fortführung seiner in früheren Filmen etablierten Motive und Formsprache schildert Haneke in „Happy End“ eine Welt ohne Mitleid, die von einem egozentrischen Blick bestimmt ist. Dieser erlaubt es den Figuren leider nicht, durch den Schleier aus Lügen und Wohlstandsäußerlichkeiten hindurch den Anderen und also den Nächsten zu sehen.
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „Happy End“.