Dichter Nebel hängt über dem Meer und entzieht den Bildern von Wasser, Sand und Schilf die Farben. Ein langsamer Kameraschwenk in der Totale erfasst die Weite und in ihr ein sich näherndes Kind, das sich auf Rollschuhen den Strand entlang schleppt. Dieses beschwerliche, auch befremdliche Gehen korrespondiert mit der Enge der kleinen Behausung in den Dünen, wo das 7-jährige Mädchen mit seiner Mutter lebt. Die zugige, spärlich ausgestattete Einraumwohnung wirkt wie ein spartanisches Refugium, ein vorübergehendes Versteck für Fremde, die ihren Lebensmittelpunkt verloren haben. Mutter und Tochter reden nicht viel miteinander, die Atmosphäre ist bedrückend trostlos, und die Radiowellen liefern nur Störgeräusche, die sich wiederum mit sparsam eingesetzten dissonanten Pianoklängen (von Sergio Gurrola) verbinden. Einmal fragt die kleine Cecilia (Paula Lucía Galinelli Hertzog) ihre schweigsame, in sich gekehrte Mutter Lucía (Laura Agorreca): „Was bedeutet ‚Pessimist‘?“
Über Zeit, Ort und Hintergründe der unspektakulären Handlung in Paula Markovitchs preisgekröntem Spielfilmdebüt „Der Preis“ (El Premio) erfährt man zunächst fast nichts. Konsequent aus der Perspektive des Kindes und mit einem reduzierten, fast absichtslosen Zeigegestus erzählt, lenkt die mexikanische Regisseurin argentinischer Herkunft in ihrem stillen, subtil beobachteten Film den Blick auf Details: In der neuen Schule soll Cecilia die wahre Identität der Eltern verschweigen; zusammen mit der Mutter vergräbt sie Bücher im Sand. Einmal klagt das Kind, das sich öfters langweilt und sich meist selbst überlassen ist, über Heimweh, während die immer apathischer werdende Mutter sagt: „Ich habe Angst.“
Mit minimalistischen Mitteln beschreibt Paula Markovitch in ihrem autobiographisch getönten Film einen Stillstand, ein Verharren und eine individuelle Lähmung, deren gesellschaftliche Ursachen nach und nach sichtbar werden. In der Schule, deren ärmliches Ambiente von militärischer Disziplin auf groteske Weise zusammengehalten werden soll, treten Soldaten auf, rufen einen patriotischen Wettbewerb auf die argentinische Nationalflagge aus und beschwören die unselige Allianz von „Bildung und Waffen, Schule und Armee“. Wir beginnen zu ahnen, dass Cecilias Vater zu jenen „Verschwundenen“ (Desaparecidos) gehört, die während der argentinischen Militärdiktatur Ende der 1970er Jahre in geheimen Gefängnissen inhaftiert und gefoltert wurden – und deren ungewisses Schicksal die Familien und angehörigen (teils bis heute) belastet (vgl. dazu Marco Bechis‘ erschütternden Film „Garage Olimpo“).
Markovitchs verhaltener Film über eine innere Emigration zeigt die impliziten, psychischen und innerfamiliären Wirkungen der Diktatur. Als Cecilia, die gut Lesen und Schreiben kann, den Wettbewerb gewinnt, kommt es zu Spannungen und Konflikten mit ihrer besten Freundin Silvia (Sharon Herrera), vor allem aber mit ihrer Mutter. Die spärlichen Reste von Geborgenheit und symbiotischer Zweisamkeit im Abgeschiedenen scheinen vollends aufzubrechen und sich zu verflüchtigen, während ein unaufhörlicher Wind den Schmerz darüber weiterträgt.