Die Berliner Psychedelic-Formation Tangerine Dream, bereits 1967 vom Keyboarder Edgar Froese gegründet, gehört retrospektiv sicher zu den Pionieren der elektronischen Musik aus Deutschland, deren internationales Renomeé heutzutage wohl nur noch von Kraftwerk und Can übertroffen wird. Neben Klaus Schulze, der in der Frühphase auch einmal als Drummer der Band fungierte, Ash Ra Tempel und Kluster resp. Cluster widmeten sich die Exponenten der sogenannten „Berliner Schule“ früh ihrem Entwurf einer „Kosmischen Musik“. Seltsam, dass die Band ausgerechnet mit wachsendem Erfolg in den USA hierzulande etwas aus dem Blick geriet und jetzt, ein paar Jahre nach Froeses Tod, wiederentdeckt werden darf.
Ob allerdings Margarete Kreuzers etwas arg unkritisch geratenes Porträt für ein durchaus anstehendes Tangerine-Dream-Revival taugt, muss bezweifelt werden. Obschon die Filmemacherin nach eigener Aussage Mitte der 1980er Jahre auch vom Sound Tangerine Dreams ins Subkultur-Paradies West-Berlin gelockt worden war, kam es erst zu einem ersten persönlichen Kontakt mit Froese, als Kreuzer zu einer David-Bowie-Geschichte recherchierte. Über die Jahre entwickelte sich ein kontinuierlicher Kontakt, der auch dazu führte, dass die Filmemacherin postum Zugang zum umfangreichen filmischen und fotografischen Nachlass Froeses bekam, da jener offenbar systematisch seinen Alltag zu dokumentieren pflegte. Leider ein Danaergeschenk. Die Filmemacherin, die Froese im Presseheft als explizit „mehr als hochintelligent“ charakterisiert, versteht ihr Band-Porträt als Hommage an den Bandleader. Was auch dazu führt, dass neben allerlei Archivmaterial, ein paar Band-Kollegen und ein paar befreundeten Musikern wie Jean-Michel Jarre oder Brian May nur noch Freunde, Familie und der unvermeidliche Jim Rakete zu Wort kommen. So bietet diese filmische Hagiografie wesentlich eine durch keinerlei musikhistorische Reflexion oder auch kulturkritische Anmerkung angekränkelte Innenansicht der Bandgeschichte, die hier chronologisch und affirmativ aufgerollt wird.
Interessant sind die Anfänge allerdings schon, denn Froese hatte auch vor Tangerine Dream eine Beatband, pflegte Kontakte in die Kunstszene und war Teil der Berliner Szene um das legendäre West-Berliner „Zodiak Free Arts Lab“. Mit bedeutungshubernden Alben wie „Electronic Meditation“, „Alpha Centauri“, „Zeit“ und „Atem“ entwickelten sich Tangerine Dream binnen kurzer Zeit von einer Free-Rock-Band mit Avantgarde-Touch zu einem Synthesizer-Trio, für das sich nicht nur der „Virgin“-Label-Gründer Richard Branson begeisterte, auf dessen Label die wichtigsten Alben von Tangerine Dream erscheinen sollten. Leider bleibt zumindest in Kreuzers Dokumentation die Frage ungeklärt, wie die Band ihren erstaunlichen Maschinenpark an Equipment überhaupt finanzierte. Immerhin: die nächsten Karriere-Stationen werden brav und unterfüttert mit privatem Archivmaterial abgehakt, wobei die sich auftuenden Lücken sprechender sind als der Film selbst. Zwei Beispiele: Legendär ist das Konzert von Tangerine Dream in der Kathedrale zu Reims vom Dezember 1974, das eben nicht nur 6000 begeisterte Fans, sondern auch ein beschädigtes Gebäude zurückließ, weil man die Toiletten vergessen hatte. 1977 entdeckte dann „Hollywood“ in Gestalt von William Friedkin („Scorcerer“) und Michael Mann („Thief-Der Einzelgänger“) das Filmmusik-Potential der Band. In der Folge lieferten Tangerine Dream in diversen, immer wieder wechselnden Besetzungen Soundtracks für Filme von Paul Brickman, Ridley Scott oder Kathryn Bigelow, mutierte aber in den folgenden Jahrzehnten durch Einbezug von weiteren Instrumentalisten zu einer Art New Age-Band in weißen Kostümen. Auch hier glänzt der Film mit Lücken. William Friedkin war offenbar nicht an einer Mitwirkung interessiert, weshalb erste Kontakte in die USA nicht etwa analytisch aufbereitet werden, sondern stattdessen mit albernen Pool-Bildern illustriert werden. Aufschlussreich dann wieder ein Interview mit Michael Mann, während die Gründe für die zahlreichen Umbesetzungen der Band nicht weiter thematisiert werden. Lustig immerhin ein Ausschnitt aus dem obskuren Pohland-Film „Warum die UFOs unseren Salat klauen“ von 1980, in dem Edgar Froese in Strumpfhosen neben Curd Jürgens einen Außerirdischen spielt.
Die Filmemacherin hat nach eigener Aussage Edgar Froese längere Zeit mit der Kamera begleitet. Doch nur wenige Bilder haben in den Film gefunden, weil Froese 2013 bei einem Sturz schwere Kopfverletzungen und einen Kieferbruch erlitt und infolgedessen mit schweren Artikulationsproblemen zu kämpfen hatte. Weil die Filmemacherin „die Legende Edgar Froese nicht zerstören“ wollte (Presseheft), entschloss sie sich, stattdessen Texte aus Froeses Autobiografie auf dem Off von Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten) einsprechen zu lassen. Doch Hacke ist kein professioneller Sprecher und die ausgewählten Texte sind in ihrer Kürze zumeist lapidar. Auch dies eine weitere Schwäche einer Musikdokumentation, die geflissentlich ignoriert, dass es durchaus Gründe gegeben hat, sich Tangerine Dream in den 1970er Jahren auch ironisch zu nähern, wenn es darum ging, sich mit dem Auftreten der Musiker auseinander zu setzen. Damals schrieb Lester Bangs eine Kritik mit dem Titel: „Ich sah Gott und/oder Tangerine Dream“. Und ein anderer Kritiker ergänzte: „Die Jungs sitzen an ihren Geräten wie Hohepriester vor ihren Altären und (…) zelebrieren (den) Kult männlicher Macht und Herrlichkeit.“ Will sagen: ein wenig kritisch-ironische Distanz zum Phänomen und zum Material hätte dem Film sicher gut getan, war aber vielleicht aufgrund der Nähe zum Objekt nicht mehr zu haben. Oder gewollt.
Dieser Text ist zuerst erschienen im Filmdienst.