„Mein Auftrag ist, unser Geheimnis zu bewahren“, sagt die Mutter Oberin, die in der Hierarchie des Klosters ganz oben steht und von der eine Kälte und Bestimmtheit ausgeht, der man sich nur unterwerfen kann – so scheint es zumindest.
Während in Polen im Jahr 1945 Krieg herrscht, schwingt ein dunkles Geheimnis um das abseits gelegene Kloster. Stille, Totenstille hüllt sich um die hohe, steinerne Mauer, die ein tragisches Kollektivschicksal der Nonnen verbirgt.
Der Film „Agnus Dei“ basiert auf einer wahren Begebenheit und erzählt die Geschichte von sieben schwangeren Nonnen, die während der Besatzung von russischen Soldaten verfolgt, vergewaltigt und geschwängert wurden und nun, befleckt mit dieser Schande, um ihr Leben, den Ruf des Klosters und um die Verurteilung durch Gott bangen müssen.
Letztlich steht immer wieder eine Frage im Raum: Was ist der richtige Weg?
Aus dem Nichts hört man ab und an eine Bombendetonation hinter dem schneebedeckten Wald, die bis ins Innenleben des Klosters schallt und an den Krieg erinnert, der draußen in einer anderen Welt herrscht. Als eine Nonne, an den dunklen schneebedeckten Waldboden angepasst, wie ein Chamäleon mit ihrer schwarz-weißen Kutte, zu einer Auffangstation der im Krieg verletzten Soldaten gelangt und eine Ärztin um Hilfe bittet, lehnt diese erst ab, unwissend, welches große Geheimnis von der Bitte der Nonne ausgeht. Doch die französische Ärztin Mathilde überwindet sich, denn in ihr tobt die Erinnerung an die unterlassene Hilfeleistung und ebenso die Neugierde, wohin die Nonne sie bringen möchte. Sie macht sich auf den Weg zu dem Kloster, abseits von geradlinigen Straßen, quer durch den Wald. Das Eindringen hinter die Mauern des Klosters bringt die junge Ärztin zur eigenen Glaubensprobe, denn als Mathilde bemerkt, was im Frauenkloster vor sich geht, möchte die Ärztin am liebsten alle ärztlichen Schwüre und Eide über Bord werfen. Doch genauso wie die Nonnen an ihre Gelübde gebunden sind, muss sich auch die Ärztin an ihren abgelegten Eid erinnern.
Auch im Film gelangen wir immer wieder visuell und metaphorisch an Kreuzungen. Wohin geht man und wem gehorcht man? Dem Glauben, den Vorschriften? Dieser Fragen bedient sich die französische Regisseurin Anne Fontaine, die für die Recherchen zum Film selbst in ein Kloster ging, um die Strukturen einer Glaubensgemeinschaft zu durchdringen und ein Gefühl für das Leben hinter den Mauern zu bekommen. Auch wenn heutzutage anders in einem Kloster gelebt wird als zu den Zeiten des Zweiten Weltkriegs, so leben dennoch die Glaubensvorstellungen fort, die der Film vorführt.
Dieses Schicksal ist eine harte Prüfung für die keuschen Gottesfrauen. Nicht nur, dass die Ungeborenen zur Welt gebracht werden müssen, auch wird den Frauen das Mutterdasein von der Mutter Oberin verwehrt. Diese nimmt sich der Neugeborenen an und bringt sie in die Welt jenseits der Klostermauern. Ein weiteres, stilles Tabu tut sich auf. Um die drohende Schließung des Klosters abzuwenden, darf nicht publik werden, was hinter den Mauern vor sich geht.
Wie viel Leid kann ein einzelner Mensch ertragen und sich für andere und den Glauben aufopfern?
Doch auch die Mutter Oberin trägt eine schwere Last. Weil sie den Ruf und die Zukunft des Klosters retten will, muss sie Entscheidungen treffen, die ihr christliches Ethos torpedieren. Auch sie hadert mit den strengen Regeln der Kirche. Nichts ist in Stein gemeißelt, und dennoch sind alle Frauen von den christlichen Regeln eingenommen. Sich von diesen zu befreien, hieße Gott und die eigene Identität zu verraten. Manchmal muss man also Opfer bringen für eine größere Mission, oder?
Es ist kein Zufall, dass Anne Fontaine den Filmtitel „Agnus Dei“ gewählt hat. Übersetzt bedeutet es „das Lamm Gottes“ und ist ein Symbol für Jesus Christus und sein Kreuzesopfer. Im übertragenen Sinne sind die Lämmer Gottes die neugeborenen Kinder der Nonnen und symbolisieren durch ihren Tod ebenso das Kreuzesopfer Jesus Christi.
„An irgendetwas muss man ja glauben“
Das Hadern entwickelt sich sukzessive: „Ich kann meinen Glauben nicht mehr mit diesen schrecklichen Ereignissen vereinbaren“, sagt eine schwangere Nonne. Jeden Tag aufs Neue erinnert sich die Glaubensschwester an die Vergewaltigungen, immer noch verfolgt sie der Geruch der Soldaten. Ein weiteres Thema – Vergewaltigung als Kriegswaffe. Auf dem Rückweg vom Kloster wird auch die Ärztin Mathilde Opfer einer Vergewaltigung, auch sie findet Zuflucht im Kloster.
Es ist die Angst, die die Frauen verbindet. Angst vor der Verdammung und der Hölle. 24 Stunden zu hoffen und eine Minute zu glauben, lautet der Konsens. „Hinter jeder Freude steht das Kreuz“, sagt eine Nonne zu Mathilde. Hinter jedem menschlichen Gedanken kann die göttliche Strafe lauern.
Der Film rechnet in dem Sinne nicht mit der Kirche und dem christlichen Glauben ab. Jedoch wirft er viele Glaubens- und Sinnfragen auf: Kann es wirklich Gottes Wille sein, solche Brutalitäten noch dazu an solch heiligen Orten zuzulassen? Der Film erinnert daran, was hinter heiligen Mauern passieren kann, dass kein Ort vor Gewalt geschützt, weder vor Pädophilie noch Kriegsverbrechen gefeit ist – damals wie heute.