Rostock-Lichtenhagen 1992. Das Asylantenheim brennt. Vor dem Haus Junge und Alte. Sie applaudieren. Wir kennen die TV-Bilder. Der Film hat dagegen die Situation der Jugendlichen im Blick, desozialisiert nach der Wende. Er beschreibt, wie sie abhängen, Stunden vorm Feuerlegen in der Ostsee baden, gern auch nackt, Sex haben, rumalbern, sich hauen und keinen Plan haben, während der Pappa, Lokalpolitiker (Striesow), der auf seine Weise auch keinen Plan hat, lieber allein zuhaus Kopfhörer aufsetzt und klassische Musik hört.
Ja hallo!? Soll ich jetzt für das, was die Menschen vorm Asylantenheim bewegt, Verständnis aufbringen? Ich werde im Kino erstens hellwach. Zweitens reg ich mich auf, und drittens bin ich drin verwickelt. Denn damals, ein Jahr nach 1992, war ich nach Lichtenhagen gefahren, um als Vater die Eltern der Braut kennenzulernen. Ich kuckte aus dem Fenster des Plattenbaus und hatte die Fassade des Asylantenheims vor mir. „Das muss ja furchtbar gewesen sein“. „Ja“, sagte die gütige, voll sympathische Mutter, „die Ausländer haben auf der dem Rasen kampiert, überall lag Müll, und die Büsche haben sie als Toilette benutzt.“ – „Äh, ich meine das irgendwie anders“. Sie guckte mich ratlos an.
Im Kino kuckte ich ratlos auf die vollgemüllte, vollgeschissene Wiese. Sie sah genauso aus, wie die anständige Bürgerin sie mir damals beschrieben hatte. – Also gibt’s jetzt Fragen. Der Film gibt Hilfestellung. Die Vietnamesin im Haus nebenan, kurz vorm Brand: „Uns passiert nichts; die Wut der Leute richtet sich gegen die Zigeuner auf dem Platz“. – „Es muss Sinti und Roma heißen“, korrigiert der Film. Ist das die Lösung? Oder der Sängerkrieg? „Früher war es wunderbar, da war noch der Führer da, oi oi oi“ gegen „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht“. Nein? Oder Leipzig in Lichtenhagen: „Keine Gewalt! Wir sind das Volk!“ gegen das Jungvolk: „Wir sind jung. Wir sind stark“?
Mit seinem Rede-/Gegenredeprogramm hat der Film eine Strategie: die Neutralisierung von sich anbahnenden Positionen. Klar, wohin die Sympathie des Regisseurs, Burhan Qurbani („Shahada“), geht. Sein zweiter Spielfilm jetzt hat starke Bilder. Qurbani hat sich ästhetisch einwandfrei ins Jungvolk verkuckt. Man kanns dabei belassen. Du musst nur Deinen Verstand ausschalten. Zwei Stunden sind genug. Zieh die Notbremse! Da, der Abspann! Aber leider hat sich der Film schon bei mir verhakt. Ich war ja auch involviert gewesen. Ich muss da raus!
Dieser Text erschien zuerst in Konkret 2/2015
Hier gibt’s eine weitere Kritik zu 'Wir sind jung. Wir sind stark'.