Jens Schanze macht in seinem Diplomfilm einen Anlauf, die Familiengeschichte zu verarbeiten. Warum wird darüber geschwiegen, welche Rolle der Großvater vor 45 gespielt hat? Er war doch in der Partei was Höheres gewesen. In Schlesien. Was hat er erzählt? Nichts, wirklich nichts? Vor der Interviewkamera arbeitet es im Muttergesicht. Warum ringt sie sich nur mühsam zu einer Antwort durch? Der Film wird spannend. Wir wissen nicht, was kommt. Die langen Pausen zwischen Frage und Antwort oder Nichtantwort werden stehen gelassen. Zeit vergeht. Sie lädt zum Abwarten und Abschätzen ein. Wir sehen eine deutsche Mutter, die Würde wahrt.
Der Interviewer wird in Archiven fündig. Großvater war schon 33 in der SA. Im Krieg kämpfte er als Ortsschulungsleiter an der Heimatfront und schwor auf den Endsieg ein, bis zum März 1945. 'War Großvater ein Nazi?' Die Mutter windet sich. 'Wenn, würde ich Nationalsozialist sagen.' Nein, sie schafft es nicht. Weder ist sie fähig zu einer Kritik noch zu Emotionen. Sie hält sich bedeckt, selbst im KZ Groß-Rosen, dessen Außenstellen nahebei gelegen hatten. Sie kann dazu nichts sagen, selbst als der Sohn, unser Autor, sie jetzt ins Lager gebracht hat. Schnee. Deutlich sichtbar sind die Grundmauern der Baracken. Sie meint die Situation zu meistern, indem sie sich zurückhält. Kein Gedanke an die Opfer. Kein Mitleid mit anderen. Keine Betroffenheit. Nichts. Nichts.
Aus dem Off hören wir, dass die 30.000 KZ-Insassen 1944 eine Bedrohung für die Deutschen gewesen waren. 'Wenn da Bomben reinfielen und die Juden frei wären, dann wär’s fürchterlich' – für die Deutschen, die dann Opfer wären. Der Autor lässt dies stehen.
Der Nazi-Opa hat im antisemitischen Verein Deutscher Studenten einen Ehrenplatz. Als Alter Herr. Sein Porträt ist mit einem Trauerflor geschmückt. Für die Filmkamera wird 'Oh alte Burschenherrlichkeit' gesungen. Und vor der Kamera ein 'positives Verhältnis für Deutschland' gefordert. Der Film nimmt es zur Kenntnis. Ebenso, dass ein erster Nachkriegsbesuch in Schlesien zur Einsicht verhilft, dass es 'die Heimat bleibt'. Nichts ging verloren. Alles ist, wie gehabt.
Das Fazit? Nach langer Zeit vereint sitzt die Familie vor dem Monitor und guckt sich das Ergebnis an. 'Mutti ist irgendwie erleichtert.' Man ist sich nähergekommen. Man hat gesprochen. Alles ist gut. Eric Satie erklingt. War das die Aufarbeitung der Familiengeschichte? Die Mutter ist als amtierendes Oberhaupt bestätigt. Und respektvoll wird ihre Kritik am Film vernommen. Ihr erstes und letztes kritisches Wort: 'So sehe ich mich nicht. Ich finde, dass ich im Film sehr alt aussehe'. Heiterkeit, Sonne, Sommer, Versöhnung. Sommerkinder.
'Winterkinder', der Film, ist zum Fürchten. Es ist schlimmer als zuvor. Was überwintert hat und jetzt zu Wort kommt, ist gut für die Familie und schlecht für uns. Wieder hat Mutter eine Situation gemeistert. Jetzt haben wir das Wort. Wer sagt ihr, dass es auch außerhalb des Clans Menschen gab und gibt? Opfer der deutschen Familie? – Sohn Schanze, der Autor, reiht sich in der Schlusseinstellung zum Familienfoto ein. Format 35 mm. Gediegene Cadrage. Frontal. Applaus heischend.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 11/2005