Sonderlich hübsch ist sie nicht, zumindest nicht nach den gängigen Next-Topmodel-Kriterien, eher spröde und verschlossen dazu, eigentlich ganz passend für den kleinen, verschlafenen, manchmal unwirtlichen dänischen Küstenort, in dem sie mit ihren Eltern lebt, ihrer Mutter im Rollstuhl und ihrem Vater, der irgendwie den Anschluss verloren hat. Und doch ist Marie eine Außenseiterin, wie sie im (Dreh-)Buch steht, uncooler als ihre gehässigen Klassenkameradinnen, ausgeschlossen von den Männerbünden in der Fischfabrik, in der sie neuerdings jobbt. Sie weiß genau, dass es mit diesem Status Quo nicht mehr lange weitergehen kann, sie spürt bereits die Veränderungen, die sich anbahnen, sich gewaltsam Bahn brechen in ihrem Leben und in ihrem Körper, sie schreckt davor zurück und kann sie doch keineswegs aufhalten, sie sind ihre Bestimmung, wenigstens.
Einzig in ihrem Kollegen Daniel findet sie einen Vertrauten, zumal er nicht minder fasziniert ist von ihr, ihrem wilden, ungestümen Wesen, egal wohin die Liaison sie beide führt, gegen wen sie sie aufbringt, was sie in ihrer Zerstörungswut mit sich in den Abgrund reißt, schließlich ist Marie ein Werwolf, der jüngste in einer langen Familientradition. Und das kontrollierte, unscheinbare Leben schon bald nur mehr ein Schatten der Vergangenheit.
Die offensichtlichen Pubertäts-Metaphern der forcierten Körper-Verwandlung rücken „When Animals Dream“ zunächst in die Nähe von „Carrie“ und ähnlicher gewaltsamer Coming-of-Age-Prozesse. Der Horror des Fremden im eigenen, erblühenden Körper wird zudem noch verstärkt, gespiegelt und limitiert durch den Verfall der vermeintlich engsten Vertrauten, Maries Mutter, und der zunehmenden Hilflosigkeit ihres Vaters. Aber Regiedebütant Jonas Alexander Arnby ist keineswegs an einem grellen Effektspektakel interessiert oder einer Bloßstellung seiner Protagonistin, stattdessen durchzieht eine wohlwollende Empathie die vielerorts sattsam bekannte Geschichte, eine bewusste Nähe zu seiner, ja, Heldin, die gegen Ignoranz und dumpfe Intoleranz aufbegehrt. Dies wäre an politischer Agenda allerdings das höchste der Gefühle, das eine entsprechende Lesart offenbart.
Denn vordergründig ist „When Animals Dream“ ein lupenreiner, ziemlich geradliniger Genrefilm, der seine Hauptattraktion aus der Inszenierung einer atmosphärischen Dichte zieht, die ihn bisweilen in die Nähe des artverwandten schwedischen Vampirhorrors von „Let The Right One In“ rückt, jedoch ohne jemals dessen existenzialistische Tiefe und Beklemmung zu erreichen. Dafür spult Arnby manche Stereotypen des Genres zu generisch und lieblos herunter, anstatt sich durchgängig den Eigensinn zu bewahren, den seine Protagonistin so eindrucksvoll aufrechterhält. Umso erlesener sind dagegen die Bildkompositionen des Kameramanns Niels Thastum, der in jeder Situation stimmige Bilder für die Wildheit und Zerrissenheit Maries und auch für ihre Verlorenheit findet. Newcomerin Sonia Suhl bewältigt ihre anspruchsvolle Rolle mit einer ebensolchen Souveränität und einem Selbstbewusstsein, das sich in der Haltung des Films an sich widerspiegelt: aufrecht und unbeugsam, auch ein wenig schroff, aber nie leidenschaftslos.
Für einen Low-Budget-Erstling also, für einen Werwolf-Thriller aus einem Land mit einer langen Filmtradition im sozialen Realismus – die man auch hier deutlich spürt – ist „When Animals Dream“ letztlich ein durchaus beachtlicher Beitrag, der sich an den Referenzwerken des Genres zwar längst nicht messen kann und es vermutlich auch gar nicht will, aber in seiner europäischen Arthouse-Nische seinen Platz finden kann und vor allem als Talentprobe eines vielversprechenden Regieneulings für die zukünftigen Projekte einiges erwarten lässt.