Céline Sciammas Debütfilm „Water Lilies“ zeigt die Grausamkeit der Adoleszenz
Die Übereinstimmung und das Gleichmaß bestimmen die Choreografie der Mädchenkörper, ihre Bewegungsabläufe und Formationen beim Synchronschwimmen. Während unter der Wasseroberfläche die Beine zappeln, rudern und lenken, setzen die geschminkten Gesichter über Wasser im gleichgeschalteten Rhythmus graziler Bewegungen ein künstliches Lächeln auf. Fragmentiert erscheinen die gedrillten Körper dieser „Mädchenarmee“ (Sciamma) in den Bildern uniformer Abläufe und ästhetisierter Schwimmfiguren. Das Verborgene und das Sichtbare, Schein und Sein sind hier in einem fortlaufenden Wechselspiel aufeinander bezogen, tauschen unablässig die Rollen. In einem Spannungsverhältnis stehen aber auch individuelle Anmut und Anpassungsdruck in bezug auf die Gruppe. Vom Muskeltraining bis zur Enthaarungsinspektion unterliegen die ausgestellten Körper einer strengen Kontrolle und Disziplin. Der sterile, kalte Raum der Schwimmhalle scheint diese militärisch anmutende Zurichtung noch zu unterstützen. Und doch ist dies zugleich der Ort, an dem die Konzentration auf den Körper verborgene Blicke und sexuelle Phantasien weckt.
„Für mich ist es ein schwüler Ort, wo Begierden geboren und Dinge offenbart werden“, sagt die 28-jährige französische Regisseurin Céline Sciamma, die ihren beeindruckenden Debütfilm „Water Lilies (Naissance des pieuvres) zu großen Teilen im Schwimmbad eines namenlosen Vororts spielen lässt. Überhaupt beschreibt ihr Pubertätsdrama eine hermetische, zeitlose Welt aus Leere und Langeweile, in der fast keine Erwachsenen oder Eltern vorkommen und in der alles auf die „Grausamkeit dieses Lebensabschnitts“ konzentriert ist. Der wirkliche Feind in der Adoleszenz, so Sciamma, ist man selbst. Alle Formen von Begierde seien unvermeidlich und nicht zu mildern. Und so ist jede ihrer Heldinnen in einem imaginären Netz aus unausgesprochenen Gefühlen und sexuellen Begierden, aus Hoffnungen und Enttäuschungen gefangen. In dieser Phase des Übergangs und der ersten Schritte auf fremdem Terrain ist alles Fühlen und Handeln von einer allgegenwärtigen Unsicherheit dominiert. Als Ausdruck der sich entwickelnden Individualität wird dieses Schwanken zwischen Offenheit und Schweigen in einem ambivalenten Körperbewusstsein reflektiert: dem selbstkontrollierenden Blick in den Spiegel, der Scham vor Nacktheit und der Sorge um den „falschen“ Körper(geruch). Céline Sciammas Blick auf die „Geburt der Weiblichkeit“ entfaltet ein psychologisch fein nuanciertes Geflecht aus verspielter kindlicher Unschuld und erwachsenen Sehnsüchten.
Die 15-jährige Marie (Pauline Acquart), ihr begehrender Blick und ihre vielstimmige Schüchternheit, bilden das Zentrum dieser an sich selbst leidenden, sich selbst verzehrenden Identität. Ihre Bewunderung und ihr Sehnen gilt der reifer wirkenden, schönen Floriane (Adèle Haenel), dem neidisch beäugten Star einer Gruppe von Synchronschwimmerinnen. Zugleich ist die Außenseiterin Marie mit der leicht übergewichtigen Anne (Louise Blachère) befreundet: eine kindlich-verschworene Freundschaft, die sakrosankte Züge trägt und die zunehmend überschattet wird von der Rivalität zwischen Floriane und Anne, die um den gleichen Jungen buhlen. Die sich entwickelnde Distanz hat aber noch einen anderen Grund: Weil Marie in Floriane verliebt ist, sie anhimmelt und ihr nahe sein will, lässt sie sich von ihr ausnutzen. Sie deckt die vermeintlich amourösen Abenteuer Florianes, die bei den anderen Mädchen im Ruf steht, eine sexuell erfahrene „Schlampe“ zu sein. Darüber entwickelt sich eine intime Nähe zwischen den beiden, eine ebenso komplizenhafte wie komplizierte Vertrautheit, die allmählich offenbart, dass Florianes Abgeklärtheit mehr Wunsch und Selbstschutz ist als Wirklichkeit und dass Maries Liebe unerfüllt bleiben muss.
Céline Sciamma zeigt in ihrem verhalten inszenierten, von subtilen Zwischentönen durchwirkten Film das geheime Ausloten der Gefühle, ihre Widersprüchlichkeit und ihr missverständliches Scheitern als qualvolle Dunkelheit, in der lichte Momente wie Hoffnungsblitze aufschimmern und wieder verglimmen. Fast ohne Handlungsdramatik übersetzt sie die Dialektik zwischen verborgenen Sehnsüchten und äußerem Schein in eine von verstörenden Selbstzweifeln geprägte Ungewissheit. Mehr mit Blicken, Gesten und Bewegungen als mit Worten werden Nähe und Distanz zwischen den Figuren ständig neu austariert. Sie habe „an den Gefühlen arbeiten“ wollen, „anstatt nur Gemütsverfassungen abzubilden“, sagt Sciamma. Dabei tritt die innere Gespaltenheit als Merkmal der Pubertät, die manchmal wie ein unter hormonellem Überdruck stehendes Entwicklungsstadium anmutet, deutlich hervor. Und doch bleiben gerade die Gefühle im Geheimen, Verborgenen. Immer wieder schleichen und stehlen sich die jugendlichen Heldinnen durch Hintertüren, Zaunlücken und über Gartenmauern davon in eine Angst, die aus der Sehnsucht kommt. Dabei finden sie eine Erlösung, die scheinbar dem Tod ähnelt, glücklicherweise aber doch weiterträgt.