Wer da von Me redet, Stephen Fry, ist ein in England wohl bekannter TV-Moderator, Fan der Musik Richard Wagners seit Kindesbeinen. 2009 öffnen sich die Pforten des Bayreuth-Tempels, für ihn, den Gläubigen. Die Kamera ist dabei, und wir folgen dem bekennenden Anhänger des Wagner-Kults, wie er durch die heiligen Hallen schreitet und mit kindlicher Naivität, ob gespielt oder nicht, die Gefühle beschreibt, die ihn überwältigen. Er ist bei Proben dabei. Auf die Tasten des Pianos hatte der verehrte Richard Wagner höchstselbst seine Hände gelegt. Im sonst für die Öffentlichkeit unzugänglichen Festspielhaus reden die Prominenten mit ihm, empathisch. Ein Fest für ihn, für ihn ganz allein, und trotzdem dreht er nicht durch. Warum nicht? Stephen Fry hat ein Problem, er muss seinen Wagnerglauben rechtfertigen und verteidigen, und dazu braucht er einen klaren Kopf.
Fry hat einen jüdischen Hintergrund. Angehörige sind im KZ Auschwitz ermordet worden. Wagner war bekennender Antisemit. Hitler, der andere Wagnerfan, ließ dessen Musik auf dem Parteitagsgelände in Nürnberg erschallen. Hitler stand dazu auf dem steinernen Podium und reckte die rechte Hand. – „Wagner & Me“, der Film, rückt jetzt, bald sechzig Jahre
danach, den Podest ins Bild, Gras wächst drauf. Der Stein bröckelt, Stephen Fry bringt es nicht fertig, sich draufzustellen. Ja, was sagen?
Eben noch, in Bayreuth, kam der Satz „Ich bin ein Kind im Bonbonladen“. Jetzt erkennt er: „Hitler und die Nazis haben Wagner befleckt“. So rum wird’s für ihn richtig. Aber, Herr Fry, hatte Wagner, der Antisemit, nicht selbst einen Fleck auf seine Musik gemacht? – Neinnein, „er brauchte Feinde, um kreativ zu werden“, „er brauchte den Kick“. —
Momentmal, Her Fry, – aber der kann mich ja nicht hören. Er ist unterwegs, um sich Unterstützung zu holen. In St. Petersburg, im Mariinsky-Theater, spricht der weltberühmte Wagner-Dirigent Richtung Israel: „Wenn wir nach dem zweiten Weltkrieg hier Wagner aufführten, dann kann ihn jedes Land spielen“. – Aber waren die Stalinisten nicht voll die Antisemiten gewesen? – Wieder hört mich keiner. – Stephen Fry legt noch einen drauf. In London lässt er die weltberühmte Cellistin zu Wort kommen. Als Mädchen hatte sie im Gefangenen-Orchester Wagner gespielt – und Auschwitz überlebt. „Musik kann man nicht besudeln. Sie ist heilig“, hören wir. –
Haben wir die Argumente zusammen? – Herr Fry, Ihr Schlusswort! – “Ich verzichte doch nicht wegen Adolf Hitler auf Wagner, das große Genie“ – Danke. Aber hatten Sie nicht am Anfang gesagt, kokett, aber der Situation angepasst: „Ich bin eine Blamage“?
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 07/2012