Ein Mädchen steht an der Klippe und springt nicht. Weil sie sich für den Tod des Bruders verantwortlich fühlt, will Teenager Adele (Maria Dragus) ihrem Leben ein Ende setzen. Allein, es fehlt der Mut. Glücklich deshalb der Umstand, dass der entflohene Mörder Timo (Roeland Wiesnekker) zufällig im Haus der Eltern Adeles Schutz sucht und das Mädchen ihn sogleich darum bittet, sie von ebenjener Klippe zu stürzen. Timo, verwirrt, aber ganz Mann der Stunde, nimmt Adele erst einmal als Pfand und verspricht, sie in Frankreich (immer noch das beste Land, um sich als entflohener Sträfling abzusetzen, solange der Film nicht von einem anderen Staat koproduziert wird und deshalb dort gedreht werden muss) freizulassen und umzubringen, bevor er sich selbst nach Afrika absetzt.
Vollkommen gleich wie absurd konstruiert die Ausgangssituation in Emily Atefs neuem Film „Töte mich“ auch erscheinen mag, solange dieser Beginn in ein Geschehen aufgeht, seine Künstlichkeit nach und nach verblasst und schließlich in Vergessenheit gerät, sollte alles möglich sein. Und tatsächlich ist der Plot bemüht, sich zumindest geografisch vom Anfang zu entfernen, indem die für Road-Movies typischen Und-dann-Stationen konsequent aneinandergereiht werden. Da wird sich verlaufen, Nahrung ergattert, im Wald geschlafen. Zwingend ist das Ganze dabei selten, weil Nebenfiguren und Orte austauschbar bleiben und keine spürbaren Auswirkungen auf die Beziehung der beiden Protagonisten mit sich bringen. Aber egal, Hauptsache erst einmal weg vom Anfang, bloß nicht mehr dran denken, was da war mit der Selbstmörderin und dem Mörder, in der Hoffnung, es wird am Ende „diesen Moment, in dem es begann, nicht gegeben haben.“ (Antje Ravic Strubel)
Dumm nur, dass genau das nicht geschieht, dass der Anfang atlasschwer auf dem restlichen Film liegt und zum Gefängnis für die Figuren und die Dramaturgie wird, bis die Logik der Erzählung in sich zusammenbricht. Mit jeder neuen Szene wird die vorhergehende unweigerlich in Frage gestellt, weil die alchemistischen Versuche, den künstlichen Anfang zu überwinden oder zu plausibilisieren, in peinlichen Erklärungsnöten der Regisseurin münden, sie dabei immer nur auf die Ausgangssituation zurückgeworfen wird und ihre Figuren vollkommen aus den Augen verliert.
Diese stolpern in der Folge nicht nur planlos durch Wiesen und Wälder, bis jede Glaubwürdigkeit dahin ist, sondern auch durch die kantig herben Dialoge, die in ihrer Einsilbigkeit eigentlich nur für einen prädestiniert sind: Bruce Willis. So sehr sich Hauptdarsteller Roeland Wiesnekker auch bemüht, seinen laienhaft dahingesagten Sätzen doch noch Leben einzuhauchen, er scheitert am eigenen Talent genauso wie am Drehbuch und der Tatsache, dass er eben nicht Bruce Willis ist. Daneben rätselt sich die junge Maria Dragus von einem nichts sagenden Gesichtsausdruck zum nächsten, einfach weil sie nicht weiß, wie Todessehnsucht mimisch zu fassen sein könnte und das Drehbuch ihr auch keinerlei Raum bietet, dieses Gefühl in physische Aktionen zu übersetzen. Da ändert auch die lehrbuchartige Maskulinisierung der Hauptfigur gegen Ende des Filmes wenig. Diese bleibt ein dramaturgisches Mahnmal. Ein verzweifelter Versuch, den vernachlässigten Figuren doch noch eine Entwicklung abzuringen.
Der Anfang des Filmes ist bis zum Ende hin omnipräsent, weil eine Idee zu haben eben nicht genug ist. Deshalb ist „Töte mich“ auch nicht als Gegenpol zu etwaigen Migrationsgeschichten der letzten Jahre lesbar, denn selbst dieses Thema bleibt diffus und schlagzeilenartig. Außer der geografischen Stoßrichtung (Afrika) gibt es keine weitere Auseinandersetzung mit Migration oder eben deren Umkehrung im Angesicht der europäischen Krise (und in sechs (!) Jahren Drehbuchentwicklung hätte viel einfließen können). Alle Deutungen in diese Richtung können also nur als narzisstische Überinterpretationen gelesen werden, als Intellektualisierung eines Problems, das der Film selbst nicht geschaffen hat oder in irgendeiner Weise ernsthaft behandelt.
Letztlich ist „Töte mich“ großer Quatsch, weil der Film sich in jeder Hinsicht mit dem eigenen Pitch zufrieden gibt. Es hat einfach von Beginn an kein Entkommen vor dem Anfang gegeben.