True Grit

(USA 2010; Regie: Joel Coen, Ethan Coen)

Lebensabschnittspartner Western

Welchen Film auch immer die Coen-Brüder drehen, er ist Kino, aufgesogenes, durchlebtes und durchlittenes Kino. Kaum ein Coen-Film ohne nerdige Referenzen an die Genres der amerikanischen Filmgeschichte. Bisweilen fragt man sich: Sitze ich jetzt in einem Original von vor 40, 60, 80 Jahren oder in der Liebeserklärung an eines? Die Form, der Stil und die Ästhetik der Vorbilder sind es, die von Joel und Ethan Coen geradezu fetischisiert werden. Um wahrhaft kreativ sein zu können, so scheint es, müssen sie stets die großen Mythen Hollywoods neu erfinden, indem sie sie nicht nur nachbilden, sondern sie von der Gegenwart her vollenden, abrunden oder zuspitzen – nicht ohne dabei natürlich den Kenntnisvorsprung der Nachgeborenen, und das heißt bei ihnen: die Paradigmen der Postmoderne, ins Spiel zu bringen. Dieser Spleen der Coens hat sie einerseits zu einer Art avantgardistischen Kino-Nostalgikern gemacht, falls es so etwas gibt, andererseits aber wirken ihre Filme mitunter dann etwas zu wenig geerdet, sobald sie eben diesen Boden der Vorbilder verlassen möchten und stilistische Hybride herstellen wie etwa „A Serious Man“, einen Film, bei dem nicht nur sein Protagonist in der Welt nicht so recht aufgehoben ist.

Mit „No Country For Old Men“ aus dem Jahr 2007 holten sich die Coens nicht nur vier Oscars, sie begannen mit diesem Film auch einen Flirt mit dem Western, der nun mit „True Grit“, zumindest vorübergehend, zu einer handfesten Liaison geworden ist. Kaum zuvor war ein Coen-Film so vollständig und unironisch in einem Genre verwurzelt, und selten hat ein Genre wiederum einem Coen-Film und seinen Figuren so viel Leben eingehaucht. Andererseits hat es wohl kaum einen Western nach den Siebzigern gegeben, der dem klassischen (Spät-)Western so nahe kommt, wie „True Grit“.

Dieses mag vielleicht an der gerühmten Romanvorlage „True Grit“ (gleichbedeutend etwa mit „Wahrer Schneid“) des Autors Charles Portis aus dem Jahr 1968 liegen (das Buch zählte zu den Lieblingsromanen Truman Capotes), die schon ein Jahr darauf von Henry Hathaway mit John Wayne verfilmt (Deutscher Titel: „Der Marshal“) wurde, ein Film, der, nach eigenem Bekunden der Coens, bei weitem nicht so entscheidend für die zweite Umsetzung war, wie das Buch.

Der Plot ist schnell zusammengefasst. Ford Smith, Arkansas, spätes 19. Jahrhundert: Mattie Ross, 14 Jahre alt (im neuen Film die bemerkenswerte Hailee Steinfeld), will den Mörder ihres Vaters zur Verantwortung ziehen. Weil jedoch Recht und Gesetz auf tönernen Füßen stehen, muss sie einen Kopfgeldjäger verdingen – Jeff Bridges‘ zweiter Auftritt in einem Coen-Film nach „The Big Lebowski“ als alter, alkoholabhängiger Marshal Rooster Cogburn. Aber auch der Texas Ranger LaBoeuf (gesprochen: 'La beef'), gespielt von Matt Damon, wittert eine Einkommensquelle und schließt sich der Suche an. Der weitere Verlauf wird hier höflich verschwiegen, aber erwähnt sei, dass „True Grit“ über einen klassischen Spannungsbogen verfügt, überraschende Wendungen eingeschlossen, und dass die Coens auch hier wieder ihr Händchen zeigen für die Kunst, Gewalt als etwas Komisch-Absurdes zu inszenieren. (Wozu angemerkt sei, dass sie diese spezielle Art derben Humors [gleichauf mit David Lynch] schon etwa 10 Jahre vor Quentin Tarantino [mit „Blood Simple“] ins Kino eingeführt haben. Trotzdem gilt „Pulp Fiction“ bis heute als der erste seiner Art.)

„True Grit“ ist eine Fusion, eine gelungene und spannende, aus einem seriösen Spätwestern und dem Humor, von dem die Coens sagen, er sei hier so trocken geraten, dass niemand mehr lachen könne. Streckenweise wird man sich erinnern an Clint Eastwoods „Erbarmungslos“, dessen Handlung (zur Sühne eines ungesühnten Verbrechens engagieren Prostituierte einen Kopfgeldjäger, der einen trunksüchtigen, alten Kollegen zur Hilfe nimmt), bis in so manches Detail (ein betrunkener alter Revolverheld fällt vom Pferd) der von „True Grit“ gleicht. Aber stärker noch als Eastwood, dessen Film mit der ironischen Abgeklärtheit des Post-Westerners aus den Neunzigern daher kommt, nehmen die Coens den Westen und seine kalte Unwirtlichkeit in „True Grit“ beinahe so beim sehr authentischen Milieu des Romans, als hätten sie selbst vor 120 Jahren dort gelebt. Willkür und menschliche Härte definieren in Ford Smith eine Welt des Unrechts, in der Ordnungsinstanzen (auf die in zwei Dritteln aller Western wenigstens noch Verlass gewesen war) komplett ausfallen. Wenn sich auf Grund von Bestechlichkeit keine ordentlichen Marshalls und Sheriffs in der Verantwortung sehen, sind es die Schwachen, die sich selbst helfen müssen – und können! Kinder und abgehalfterte „Shootists“ müssen sich gegen die Barbarei zusammenschließen.

„True Grit“ ist der in den Staaten kommerziell bisher erfolgreichste Film der Coens gewesen; manche sahen angesichts dieser Story in diesem Erfolg die Ratlosigkeit eines Landes gespiegelt. Man kann aber seine hohen Besucherzahlen auch darauf zurückführen, dass „True Grit“ ganz einfach einen hohen Unterhaltungswert hat. „True Grit“ ist ein Western, der so spät ist, dass er einem schon wieder früh vorkommt, er ist partiell ein Hardcore-Indiana-Jones und er macht überhaupt keine Gefangenen. Sowas reicht nicht für ein Meisterwerk wie „No Country For Old Men“, aber für einen ganz schön spannenden Filmabend durchaus.

Benotung des Films :

Andreas Thomas
True Grit
(True Grit)
USA 2010 - 110 min.
Regie: Joel Coen, Ethan Coen - Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen - Produktion: Scott Rudin, Ethan Coen, Joel Coen - Bildgestaltung: Roger Deakins - Montage: Ethan Coen, Joel Coen - Musik: Carter Burwell - Verleih: Paramount - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Hailee Steinfeld, Jeff Bridges, Matt Damon, Josh Brolin, Barry Pepper, Domhnall Gleeson, Leon Russom, Elizabeth Marvel, Ed Corbin
Kinostart (D): 24.02.2011

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1403865/