Wer sich eine alte Shatner-Folge von „Star Trek' ansieht, bekommt schnell zu spüren, dass ein Blick in die Zukunft – ob beabsichtigt oder nicht – eigentlich mehr über die Zeit erzählt, in der er getätigt wurde. Terry Gilliam hat dies in „Brazil” als Potential verstanden sowie genutzt und hat mit bis ins Groteske übersteigerten Elementen eine ausweglose Bürokratie gezeichnet, die nur im Wahnsinn hinter sich gelassen werden konnte. Die Bildsprache und grobe Konfiguration (ein hoffender Einzelner in einem übermächtigen System) von Gilliams neuestem Werk „The Zero Theorem” erinnert nun an die frühere Dystopie aus den 80ern, was schon zum Anlass genommen wurde, die beiden Filme übereinanderzulegen und festzustellen, dass der neuere bei weitem nicht an den älteren heranreicht. Ja, es mag stimmen, dass „The Zero Theorem“ nicht jenen Sog des Absurden entwickelt, der die besten Filme Gilliams auszeichnet; aber vielleicht ist es noch zu früh, den Film deshalb vorschnell abzuschreiben. Dass „The Zero Theorem” seinen Irrwitz nicht konsequent entfaltet, mag auch an den Zeichen der Zeit liegen, die er zu porträtieren versucht.
Blendet man das, was überzeichnet anmutet, aus, so ließe sich feststellen: Das ist ein Film über einen Büroangestellten, der in einem Altbau wohnt. Weil er nur dort einen Telefonanruf entgegennehmen kann, der sinnstiftend auf sein Leben wirken soll, welcher aber im unbestimmten Ausmaß auf sich warten lässt, erlaubt ihm das Management, sich ein Home Office einzurichten, damit er seinem Beruf nachgehen kann, ohne Angst haben zu müssen, den Anruf zu verpassen. Voraussetzung ist, dass er sich des titelgebenden Null-Satzes annimmt und an dessen Erschließung arbeitet. Solcherhand beleuchtet der Film den Alltag des zurückgezogenen Computerspezialisten zwischen Mikrowellengerichten und Internetpornographie. Was den Reiz des Films ausmacht, ist einerseits, wie er dieses Gerüst mit Elementen ausstattet, die es verfremden, verzerren und übersteigern, und andererseits, wie der Hauptdarsteller Christoph Waltz in ihm agiert.
Da gibt es zum Beispiel das Unternehmen, das „esoterische” Daten erwirtschaftet und Seelen verknüpft, mit einem chamäleonartigen Management, das getarnt vor Vorhängen oder hinter Kameras seine Allgegenwart vermittelt. Oder es gibt personifizierte Werbung, die die Menschen entlang von Häuserzeilen verfolgt. Es gibt traditionsreiche Innenräume wie die Kirche, in der ein Großteil der Handlung spielt (wie in „Blade Runner' ist diese Zukunft in vielerlei Hinsicht „alt”), und die ihrer ehemaligen Funktion entkleidet wurde. Es gibt die Arbeit des Informatikers, die einem Computerspiel gleicht, in welchem eine heranwachsende Jugend, die nicht mehr Jugend sein darf, erfolgsversprechender zu sein scheint. Es kommt ein Fünfzehnjähriger zu Wort, der meint, schon längst vom Leben gelangweilt zu sein, während der öffentliche Raum, in dem er diese Worte äußert, durch Verbotstafeln bestimmt wird. Das sind kraftvolle Bilder und Worte, die der Film um ein schwarzes Loch kreisen lässt, das mit den ersten Filmsekunden eingeführt wird. (Ganz zu schweigen von dem Cybersex-Overall, der an das Böse aus „Time Bandits' erinnert.)
Der eigentlich schmale Plot hängt an der Hoffnung des von Waltz gespielten Qohen Leth, sein inneres schwarzes Loch mit Bedeutung füllen zu können. Ihr fallen selbst potentielle Fluchtmöglichkeiten (anders als in „Brazil' gibt es sie) aus dem ausbeuterischen System zum Opfer. Auf diese Weise wird ein Chiasmus etabliert: Wo Qohen Leth in seinem Beruf gegen allen Widerstand die Null beweisen soll, will er selbst aus sich, quasi als einer Null, eine Eins machen, sich mit Bedeutung füllen. Dieses Bemühen konstituiert sich im Angesicht einer Kommunikation, deren glücksverheißende Formen sich ein ökonomisches Kalkül zunutze macht, während dieselben im Dialog zwischen einzelnen Menschen verunglücken. Dort wurde zum Beispiel bereits verlernt, sich mit dem richtigen Namen anzusprechen. In diesem Sinne zeigt die wahrscheinlich großartigste Szene des Films die steinerne Mimik von Waltz, die unter den Fluchtaufforderungen einer von ihm begehrten Frau zu zittern beginnt.