Der Terror des Sowjetkommunismus soll die gewaltige erzählerische Klammer stiften: Zu Beginn sehen wir das konspirative Verhör von Janusz (Jim Sturgess), der 1939 als polnischer Dissident zu 25 Jahren im sibirischen Zwangsarbeiterlager verurteilt wird. Am Ende des Films listet wiederum eine zweiminütige Montage zu pathetischen Klängen die Stationen des kommunistischen Niedergangs auf. Historie ist indes nicht viel mehr als ein dringend benötigter MacGuffin, mit dessen Hilfe Regisseur Peter Weir die Legitimation für eine irrsinnige und lebensgefährliche Reise sucht. Wer würde schon die Strapazen auf sich nehmen und mehr als 5000 Kilometer, von Sibirien bis Indien, zu Fuß zurücklegen, außer: ein Fliehender? Deswegen beansprucht der Einblick ins Lagersystem keine 20 Minuten, dann tritt Janusz bereits zusammen mit fünf weiteren Inhaftierten die Flucht durch die gigantischen Wälder an. Der Kommunismus bleibt im Plot fortan das, wozu ihn Marx und Engels in ihrem Manifest erklärten: ein Gespenst. An seine Stelle rückt der Kampf gegen die Natur, womit sich Weir ans andere Ende eines extremen Überlebenskampfes begibt, den Danny Boyle ebenfalls in diesem Jahr mit 127 Hours' auslotete: Ist in Boyles Film ein Extremsportler tagelang zur Bewegungslosigkeit gezwungen, weil sein Arm unter einem Felsbrocken eingequetscht wurde, bis er ihn sich schließlich abschneidet, drängt es Weirs Figuren zur ständigen Fluchtbewegung, weil Stillstand den sicheren Tod durch Erfrieren, Verhungern oder Verdursten bedeutet. In beiden Filmen überschreitet der Wille zum Überleben wahnwitzige Grenzen; beide Filme berufen sich zudem auf die Authentizität realer Ereignisse (auch wenn mittlerweile es als recht gesichert gelten darf, dass der spektakuläre „lange Weg“, den der ehemalige polnische Offizier Slavomir Rawicz im gleichnamigen autobiografischen und erstmals 1955 veröffentlichten Erfahrungsbericht schildert, zumindest nicht sein eigener war) – das Kino kann vielleicht doch nur bis zu einem gewissen Grad Räuberpistolen über den menschlichen Körper erzählen, die man ihm auch glauben will.
Weir interessiert sich also nicht unbedingt für politische und historische Verhältnisse und Zusammenhänge, sondern für die Tortur. Im Kern ist der Film ein Ausreißerdrama über eine Flucht ohne Verfolger, wuchtige Genrekost, die jede Gefühlsregung penibel unter Kontrolle behalten möchte. Im besten Falle, wie noch bei seiner bereits sieben Jahre zurückliegenden Seefahrermär „Master and Commander“, treibt Weir solch eingegrenzten Formaten durch ein fragmentiertes Erzählverfahren und dem Hang zur Naturalisierung die Naivität aus. Die ärgerlichere Variante exerziert „The Way Back“ vor: malerische Panoramabilder hochhausgroßer Höhlen und langsame Fahrten über endlose Wälder und Steppen wechseln sich ab mit Detailaufnahmen sonnengegerbter Haut, trockener Münder, gefrorener Füße, ausfallender Zähne. Durch Landschaften so pittoresk im Bildkader vermessen, als illustrierten sie eine GEO-Ausgabe, quält sich die internationale Gruppe – durch die Mongolei, die Wüste Gobi, Tibet, über den Himalaya. Man ringt mit Hunger und Durst, kämpft gegen Mückenplagen und Sandstürme, isst, was vor die Füße kriecht, trinkt aus Schlammpfützen und verzeichnet auch einige Tote.
Ein Verhältnis zu seinen Bildern sucht der Film keineswegs; sie sind das entzückend gestaltete Handout für eine Geschichte, die, ständig dies doppelt und dreifach versichernd, vom Konflikt zwischen Mensch und Natur erzählt und zugleich die Natur als überwältigenden Schauplatz über die Qual des Überlebens dominieren lässt. Das Problem ist weniger, dass hin und wieder Langeweile droht, weil die Männer nur ein funktionales Interesse füreinander entwickeln (es zählte ja doch nur zu den mythologischen Tücken des Erzählkinos, würde der schmutzige wie beiläufige Tod im Wüstensand zum Konflikt der Herzen degradiert), sondern die Impertinenz, mit der der schwindende Kontrast zur eigentlich doch majestätischen Natur eingebläut wird. Nur ein Beispiel: Kaum haben die Fliehenden ein Rudel Wölfe von deren frisch erbeutetem Reh vertrieben, fallen sie auch schon bestialisch über das Tier her, reißen sich knurrend die rohen Fleischstücke aus den Händen, und der sorgenvolle Blick von Janusz auf die ausgehungerte Meute fragt stellvertretend für uns: Ist da überhaupt noch eine Grenze zur Natur und ihren gnadenlosen Gesetzen? Gegenfrage: Bietet der Rücken eines solch unfassbaren und gleichwohl realen Leidenswegs tatsächlich so wenig Platz, dass auf ihm lediglich und ausgerechnet dieser stinklangweilige Urtopos des Abenteuerfilms ausgetragen werden muss?