Schöne Idee: Musiktherapie als ultimative Chart-Show, funktioniert – wie in diesem Film – so nur mit bestens abgehangener Pop-Musik. „The Music never stopped“, basierend auf einem Essay von Oliver Sacks („The man who mistook his wife for a hat“), ist also gewissermaßen Ü50-Formatradio im Kino, „die größten Hits der Sechziger!“
Gänsehaut! Es gilt: „Rock’n‘Roll (I gave you the Best Years of my Life)“ – und zwar damals in den Sechzigern, als Popmusik noch ein alternatives, vielleicht sogar gegenkulturelles Lebensgefühl und, herrje, Protest gegen das Establishment und seine Politik(en) repräsentierte. Playing in the Band. Talking ’bout my generation. Give me a F … ! Next Stop is Vietnam. Father? Yes, son? I want to …
Wie gesagt: die Sixties. Doch jetzt, also circa 1988, hat Gabriel Sawyer leider einen Hirntumor und kann rein gar nichts erinnern, was ihm nach 1970 geschah. Gabriel dämmert in der Klinik vor sich hin, seine Eltern sind rat- und hilflos – bis eine pfiffige Musiktherapeutin auf die Idee kommt, ihm die größten Hits der sechziger Jahre vorzuspielen. Dann erwacht Gabriel unvermittelt aus dem Off und beginnt drauflos zu schwadronieren – von Dylan (Mensch, der konnte reimen!) und den Beatles (Alles, was du brauchst, ist Liebe), von The Grateful Dead („Leider nie live gesehen!“) und Simon & Garfunkel. Oder waren es doch Buffalo Springfield? Es passiert etwas hier. Was es ist, ist nicht exactly clear.
Seine Eltern pflegen Gabriel, obwohl sie ihn seit 1968 nicht mehr gesehen haben. Warum das so ist, erzählt der Film in einer Folge von Rückblenden: Vater, ein Patriot und Pop-Liebhaber der Proto-Beat-Zeit, und Sohn entzweiten sich Mitte der Sechziger über ihre musikalischen Vorlieben, die für existentielle politische Haltungen standen. Immer länger wurden Gabriels Haare, immer lauter seine Lieblingsmusik, bis es schließlich hieß: „Flagge verbrennen! Regierung ertränken!“ Ironie der (Pop-)Geschichte: wenn der (liebende?) Vater Zugang zu seinem verlorenen Sohn finden will, muss der knorrige Bing Crosby- und Sinatra-Fan sich im Schnelldurchlauf die Musik der Sechziger draufschaffen.
Das ist eine lustige Idee, doch leider missglückt dem Film völlig, seinen Figuren eine Form von Leben einzuhauchen. Vater und Sohn bleiben repräsentative Pappkameraden, wandelnde Allgemeinplätze, die gemeinsam Musik von gestern hören, weil sie sich heute noch immer nichts zu sagen haben. Übrigens auch nichts über Musik, was mindestens die Figur Gabriels enorm beschädigt. Denn wem Popmusik existentiell etwas »bedeutet« hat, dem sollte dazu doch etwas mehr und etwas Anderes dazu einfallen als beispielsweise die Plattitüden Oliver Geißens bei der ultimativen Chart-Show.
Regisseur Jim Kohlberg setzt mit „The Music Never Stopped“ beherzt und letztlich auch ziemlich gespenstisch auf die Rührung von Nostalgikern durch Zeichen und Humor: Erkennen Sie die Melodie, gar das Schallplatten-Cover? Am Schluss der Therapie verkleiden sich Vater und Sohn dann vergnügt als Hippies (no drugs, please!) und besuchen (endlich) gemeinsam ein Grateful Dead-Konzert. Da feierte die Band mit „Touch of Grey“ gerade ihre erste Hit-Single seit „Uncle John‘s Band“, was dem Film natürlich gut ins Konzept passt, weil hier ja eh nur Hits gespielt werden, damit die Nostalgie auch beim Mainstream verfängt. „Out on the road today / I saw a deadhead sticker on a cadillac / A little voice inside my head said / „Don’t look back, you can never look back.“ Das hörte man bereits 1984.
Muss man also unterstellen, dass es einen kulturellen Unterschied gibt zwischen dem Besuch eines Dead-Konzertes 1967/68 und eines Dead-Konzert 1987/88? Der Film dementiert das um der Versöhnungsgeste willen. Obwohl, soviel Liebe zum Detail muss sein, unter uns Deadheads, Stichwort Humor: Pigpen wird schon vermisst. Aufschlussreich indes ist die krude Verbindung von Pop-Nostalgie und entpolitisiertem Geschichtsrevisionismus. Motto: Music brings you home, experience the ride.
Indes sagt dieser geradezu auf erpresserische Weise rührende Film doch auch: Hätte der Vater, vulgo: die Vätergeneration bereits »1968« über diese empathische, wenngleich letztlich auch völlig oberflächliche und aus der Not der narzisstischen Verletzung geborene Neugier auf den Sound der Jugend verfügt, hätte man sich das ganze Gerangel auf den Nebenkriegsschauplätzen Vietnam, Post-Kolonialismus, Bürgerrechte, Rassismus und Auschwitz auch sparen können. Schließlich wussten die Alten schon, als sie noch jung waren: „But what can a poor boy do except to sing for a rock’n‘roll band.“