Brent ist innerlich ausgebrannt. Er hatte das Auto gefahren bei dem Unfall, an dem sein Vater starb. Jetzt hängt an einer Kette um seinen Hals ein Rasiermesser, und an seiner Hüfte sieht man die Ritzwunden, die er sich zugefügt hat. Einmal klettert er eine Felswand hoch, der Fuß rutscht ab, an seinen Fingerspitzen hängt er über dem gähnenden Abgrund, und in Zeitlupe, vor dem weit entrückten Boden, auf dem er aufschlagen würde, genießt er dieses Spiel mit dem Tod, den Kitzel des Vielleicht-Fallens. Um sich dann aufzuraffen, sich hochzureißen und oben anzukommen.
Die Szene spielt im Kleinen den ganzen Film durch. Denn als Brent sich oben ausruht, wird er von einem Mann geschnappt, betäubt und weggeschleppt. In einem abgelegenen Farmhaus wartet Lola, die zusammen mit Daddy Brent fesseln, bis aus Blut quälen, ihm schreckliche Gewalt antun wird – sadistisches Foltern dafür, dass er sie als Partnerin für den Abschlussball abgelehnt hat. Aus dieser Hölle muss Brent wieder herauskommen.
Wo Sean Byrnes Debütfilm auf der einen Seite ein Torture-Horrorfilm ist, ist er mit demselben Recht auch ein Highschool-Drama. Am Anfang sehen wir die obligatorische Spindszene, in der sich die zwei Kumpel Brent und Jamie zotig über den Abschlussball und ihre Chancen bei den Weibern unterhalten, und Jamie wird plötzlich ganz klein, als er die stolze Mia fragt – und ja, sie stimmt zu! Danach eine Pettingszene im Auto, Brent und seine Freundin Holly, und nein: er kann ihr „I love you“ nicht erwidern. Byrnes gibt John Hughes und Linklaters „Dazed and Confused“ als Vorbilder an, und tatsächlich kann er mit Einfühlsamkeit die Melancholie, die Leere, die Hoffnung, das Vorwärtsdrängen der Jugend und die brodelnden Hormone in wenige Szenen fassen.
Lola ist das schüchterne, zurückgewiesene Mädchen, das sich rächt. Weil Lola von ihrem Schwarm nicht zur prom night eingeladen wurde, feiert sie zuhause, im Privaten, wo niemand die Schreie hört. Discokugel an der Decke, Papierkronen für Ballkönigin und -könig, ein stolzer Papa, eine aufgeregte Tochter in pinkem Kleidchen, Glitzer, Luftschlangen und Brent als prinzenhafter Partner – der ist der Hauptspaß für Lola, denn an ihm fließt das Blut. Lola und Daddy pervertieren die Insignien der Schulabschlussweihe, sie veranstalten ein Gore-Fest in immer neuen Steigerungen.
Lola hat einen Riesenspaß am Quälen, das sind Sadismen, die ihr seit der Kindheit als ganz normal eingeimpft wurden vom Vater, der ein ruhiger, kleinbürgerlicher Irrer ist. Und den die Tochter im Einfallsreichtum der Sticheleien noch übertrifft; sie zwingt Brent zu pissen und lässt Daddy ihn dabei mit Hammer und Nagel kastrationsmäßig bedrohen. Spritzt ihm Abflussreiniger, damit er nicht mehr sprechen kann – schreien kann er immer noch. Zwingt ihm einen Hähnchenschlegel rein, „fingerlickin’ good“; tanzt mit ihm, als die Füße in die Holzbohlen des Bodens genagelt sind; und darf heute erstmals selbst den Bohrer auf die Stirn eines ihrer Opfer richten.
Den Gang in immer schlimmeren Horrorwahnsinn kontrastiert Byrne in geschicktem Rhythmus mit dem Abschlussball, wo Brents Kumpel Jamie seine Angebete ausführt, Mia, ein Goth-Mädel, schwarz in Kleidung und Seele, die lieber im Auto kifft und säuft und dann ihren Verstand wegficken will als den institutionalisierten Initiationsball mitzumachen. Eine Nebengeschichte, die an sich gar nichts mit Brents blutiger Passion zu tun hat, die aber die Themen jugendlicher Verwirrung, innerer Verletzung, Einsamkeit aufnimmt und weiterspinnt: das Bewusstsein, dass das Leben, so wie es ist, nicht gut ist, dass aber eine Menge Zukunft noch kommen wird; die Zweifel, ob es diese Zukunft wert ist, ob die Vergangenheit nicht die Oberhand gewinnen soll, eine Vergangenheit der Traumata, des Verlustes, der Trauer …
Brent muss sich auflehnen gegen die Anfechtungen von Lola, dem zarten Mädchen mit eingebauter Grausamkeit. Denn sie kennt kein Halten: Sie hat das Habenwollen des Kleinkindes nie abgelegt, verbindet es mit dem Sadismus brutalstmöglicher Serienkiller, ist ein soziopathischer Psycho-Killer und zugleich Daddys kleines Mädchen mit dem Tagebuch, in dem sie ihre Schwärmereien in rosa Sternchen und roten Herzen festhält. Und auch all diejenigen dokumentiert, die sie wieder hat fallen lassen … Heftige Sexualneurose, überkochende Pubertätshormone, vollkommen verdrehtes Denken, eisige Gefühlskälte, tiefsitzende Inzesttriebe deutet Byrne an, das sind die subtilen Unterströmungen, die er den Teenager-Verwirrungen auf dem Highschool-Ball entgegensetzt: kleine Momente, die aufscheinen, aber nie so richtig manifest werden.
Wobei natürlich alles noch viel viel schlimmer ist, als es den Anschein hat, denn unterm Teppich gibt es eine Falltür, darunter ein dunkler Betonraum mit schrecklichen Kreaturen… Mit viel Gefühl für den richtigen Rhythmus, für seine Charaktere, für die passenden Schritte der Steigerung des Grauens, für die effektvollen Splattermomente geht Byrne vor. Gerade in einem Low-Budget-Film mit seinen beschränkten Möglichkeiten muss man aus dramatischen Szenen effektiv die Essenz rausholen, sagt Byrne im Audiokommentar. Und was wäre dramatischer als dieser Moment auf der Kippe zwischen Leben und Tod, wenn eine durchgeknallte Teenagerin mit dem Bohrer auf einen zukommt? Das kostet er aus, unerträglich lange. Und den eigentlichen Horror erklärt er in seinem Kommentar und in den Interviews auf der Bonus-DVD: dass er sich nämlich stark an der Wirklichkeit orientiert hat, an den perversen Mördern im wirklichen Leben: Jeffrey Dahmer, der seine Opfer betäubte und ihnen dann mit dem Bohrer ein Loch in den Schädel bohrte, dann Salzsäure oder heißes Wasser hineingoss, um lebende Zombies zu kreieren – einer soll mit zerkochtem Hirn tatsächlich eine Woche lang gelebt haben. Sylvia Likens wurde von einer Nachbarin und deren Kindern zu Tode gefoltert. Und natürlich der Österreicher Fritzl, mit seiner im Keller jahrelang gefangengehaltenen dauervergewaltigten Tochter …
Wie diese grauenvolle Wirklichkeit sich in Film übersetzen lässt, davon zeugt das Bonusmaterial, Byrne, der im (zuweilen etwas dröge wirkenden) Audiokommentar und in Interviews Hinweise auf die Suche nach dem richtigen filmischen Rhythmus gibt, oder die 35-Minuten-Doku über Maske, Makeup, Splatter-Spezialeffekte. Und der Setrunner darf seine ganz eigene Hinter den Kulissen-Sicht auf die Dreharbeiten werfen, ein lustiges Porträt des filmischen Prozesses von unten, das Lolas Hölle witzige Albernheiten entgegensetzt.