Der Sprachfehler, beziehungsweise jede Form des nicht angemessenen Sprechens, fasziniert seit jeher als Einschränkung, gar Lähmung der essentiellsten menschlichen Kommunikationsform. Besondere Tragik kommt ihm zu, wenn er ein Gefälle markiert: Etwa jenes zwischen Talent, Ansehen, „Stand“ oder Mitteilungsbedürfnis einer Person und der „Unangemessenheit“, der Behinderung des Mediums. Wer nicht vernünftig sprechen kann, kann nicht vernünftig sein, so scheint der bizarre Schluss zu lauten. Und so musste schon Othello sein Anderssein eingestehen in der berühmten Zeile „Rude am I in my speech“ und Eliza Doolittle muss der Schlag der besseren Gesellschaft so lange eingedrillt werden, bis Higgins entzückt ausrufen darf: „I think she’s got it!“ – „Mein Gott, jetzt hat sie’s!“
Manchen Berufsständen bekommt ein Sprachfehler besonders schlecht: Wer eine öffentliche Person ist, öffentlich sprechen muss, der macht sich schnell zum Gespött, wenn sich die Sprache einfach nicht fügen will. Wer zudem auch noch so sprechen muss, dass eine ganze Nation ihm oder ihr Vertrauen schenken soll, der kann sich einen Sprachfehler erst recht nicht leisten. Auf kaum einen Sprachgehemmten mochte eine derartige Verkettung unglücklicher Umstände je mehr zutreffen als auf den britischen König Georg VI. Als Monarch während des Zweiten Weltkrieges hing das britische Volk zwangsläufig an seinen Lippen und diese Lippen stotterten, brachten unschöne Schnalzlaute hervor und rangen um jede Silbe. Tom Hoopers Film „The King’s Speech“, geliebt und mit allen üblichen Preisen überschüttet, erzählt von diesem Mann, der gleich in der allerersten Szene in einem Stadion sprechen soll und dem das Mikrophon, vor das er tritt, wie ein schwarzer Abgrund vorkommen muss, der ihn zu verschlingen droht. In der Not nimmt seine Frau Kontakt mit dem schrulligen Rhetoriklehrer und gescheiterten Shakespeare-Darsteller (Lieblingsrolle, wen wundert es: Othello) Lionel Logue auf, der den Prinzen und späteren König von Anfang an vertraulich „Bertie“ nennt und der fortan dafür sorgen soll, dass des Monarchen „speech“ (als Sprechen) seine „speech“ (als Vortrag) nicht länger beeinträchtigen soll.
Hoopers Film ist glänzend in vielfacher Hinsicht. Technisch und inszenatorisch makellos rollt er gleichsam einen roten Teppich aus für seine Schauspieler, die alles zeigen, was gefällt und Oscars bringt. Colin Firths „Bertie“ stehen die Hemmung und der Ärger über die eigene Unzulänglichkeit ins Gesicht geschrieben und Geoffrey Rushs Sprachlehrer ist so schön schlaksig, warmherzig und zugleich angriffslustig, dass man beinahe auch einmal eine Stunde in Kieferlockerung und Vokalformung bei ihm nehmen wollen würde. Auch mag es beeindrucken, wie Hooper die geradezu bis zur physischen Erstarrung reichende Verknöcherung der Hofschranzen und ihrer alten Zeremonien zeigt. Jedoch lässt dieser Film in keinem Moment einen Zweifel daran, was er eigentlich ist: ein Bildungsroman. Bertie, alias König Georg VI., lernt, dass er nicht nur privat ein netter Kerl ist, der seinen Kindern stotterfrei großartige Gute-Nacht-Geschichten erzählen kann, sondern dass er durch harte Arbeit und Vertrauen in sich und die Freundschaft zu Menschen, die ihm helfen wollen, zur wohlfunktionierenden öffentlichen Figur werden kann. Auf diesem Weg, der durchaus lustvoll und mit viel „sophistication“ ausgemalt wird, passieren alle Fortschritte und Einbrüche wie auf der Idealkurve jedes guten „creative writing“-Lehrbuchs. Am Ende gibt es eine schöne, warme Szene mit viel Pathos. Man geht mit einem angenehmen Gefühl aus diesem Film. Und vergisst fast, wie sehr man sich zwischendurch gelangweilt hat.