Ein wahrnehmungsaktiver Film wie selten. Er bringt es fertig, dass ich nach zwei Stunden zu mir komme und nicht fassen kann, dass das Spiel schon zu Ende ist. In erster Linie geht’s um einen Erfinder, der im Zweiten Weltkrieg für den britischen Geheimdienst das deutsche Verschlüsselungssystem Enigma knackt. Die Turing Machine entscheidet den Krieg. In zweiter Linie geht’s um Turings Sexualität. Er ist schwul und spielt Versteck; Homosexualität ist strafbar. Nun die dritte Linie: Beides gehört zusammen. Ohne das Versteckspiel keine Lösung des Enigma-Codes. Mathematik allein bringt’s nicht. Die Linguisten sind ratlos. Aber dass zwei gemobbte Schüler in der Klasse sich per Geheimschrift verständigen, das ist der Anfang. Mit der Schulszene, in der die Outsider Alan Turing und Christopher glücklich sind, beginnt der Film.
Zum Schluss ist Nerd Turing mit seiner Enigma-Knack-Maschine glücklich. Er liebt sie geradezu körperlich. Sie hat einen Namen: Christopher. Aber die britische Justiz hat jetzt ihrerseits die Homosexualität des Entdeckers Turing entdeckt. Um das Gefängnis kommt er nur herum, wenn er seine Veranlagung chemisch wegtherapieren lässt. „Christopher“ wird kastriert. Dass unser Erfinderheld Selbstmord begeht, erfahren wir per Nachspanninfo.
Der Film erzählt dieses, tja, Biopic mainstreamaffin, aber eben nicht mainstreammäßig. Wenn eine Fülle von Doku-Fetzen eingeblendet werden (jeweils gefühlte vier bis sechs Sekunden), dann ist das nicht Knopp, sondern ein Puzzle-Teil, und aus so was wie Heil-Hitler-Teilen lässt sich wie ein banales Kreuzworträtsel das Enigma-Geheimnis lösen. Vielleicht. Eh ich mich versah, war ich jedenfalls beim Puzzeln dabei, und selbst die längeren Szenen, in denen mir die Schauspieler allzu nah gebracht wurden, nahm ich als willkommene Pausen hin. Ich rauch ja nicht wie alle im Film, die ihre Künste vorführen. Allen voran Turing-Darsteller Benedict Cumberbatch. Lange zucken die Lippen, bis sie ein Wort rauslassen. Die Augen meiden den Kontakt mit dem, der was fragt. Die Finger fummeln in Zetteln und an Apparaten. Ja, ich kapier. Der geniale Autist. Solch einen Nerd brauchen wir. Also ist Turings Mimikkunst sachbezogen. Und ich sag ja nix.
Eine allzu lange Nichtraucherpause war für mich allerdings das Versteckspielintermezzo mit der Heterokollegin Joan Clarke, aber sei’s drum. Ich bin und bleibe fasziniert, wie 'The Imitation Game' sein Thema durchhält. Kopf und Bauch gehören zusammen, wenn man die Maschine erfinden will, die heute als Computer bekannt ist. Sexuelle Erfüllung durch die Maschine namens Christopher oder wie auch immer. Es lebe die Vielfalt der Identität, sagte schon Foucault oder Deleuze oder wer’s war. Und schon wieder wird’s ein Manifest statt eine Filmbesprechung. Sorry.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 1/2015