The Hateful Eight

(USA 2015; Regie: Quentin Tarantino)

Amerika im Visier

In den USA genießen die Filme von Quentin Tarantino längst den Status medialer Großereignisse. Sie sind in aller Munde, lange bevor die ersten Bilder im Netz kursieren. Dieser Buzz-Effekt ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal von Tarantino-Filmen. In Zeiten generalstabsmäßig geplanter Marketing-Tsunamis kann es sich kein Hollywood-Studio mehr erlauben, seine Blockbuster nicht punktgenau zum weltweit synchronisierten Starttermin ins Bewusstsein des Publikums zu hämmern. Im Fall von Tarantino arbeitet die überhitzte Aufmerksamkeitsökonomie aber noch einmal anders. Seine Filme fungieren zunehmend auch als Durchlauferhitzer für ganz grundsätzliche gesellschaftliche Diskurse. Tarantino versteht es heute geschickter denn je, seine Themen mit provokanten Aussagen in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen.

Tarantino-Kontroversen drehen sich fast zwangsläufig um die Gewaltfrage: In frühen Filmen gingen seine Gewaltdarstellungen noch als cooles Zitat durch, ein Rückgriff auf die Konventionen inzwischen historischer B-Movie-Topoi. Mit seinen period pieces, angefangen mit der Nazi-Revenge-Phantasie »Inglourious Basterds«, bezieht sich Tarantino verstärkt auf eine gewaltsame Historie, betrachtet durch das dreckige Prisma des Genrekinos. Für die staatstragende Variante fühlt sich weiterhin ein Steven Spielberg zuständig. Es ist drei Jahre her, dass Tarantinos Abolitionismus-Western »Django Unchained« im direkten Vergleich mit Spielbergs Biopic »Lincoln« demonstrierte, warum geschmackvolles, teuer ausstaffiertes Geschichtskino bei gesellschaftlichen Themen aber mehr denn je unter einem Vermittlungsproblem leidet. »Django Unchained« erzählt ein historisches Unrecht mit revisionistischer Verve im Format des Exploitationfilms: in politischer Hinsicht ein vermintes Terrain, das Tarantino souverän sondierte. »The Hateful Eight« ist nun der Versuch, den schwelenden Rassismus in den USA aus den Untiefen des Grindhouse-Segments in eine historische Parabel zu überführen.

Sein achter Film (großspurig verkündet in der Titelsequenz) ist erneut ein Rückgriff auf den Western – diesmal als elaboriertes Katz-und-Maus-Spiel im Agatha-Christie-Modus. Acht Männer und eine Frau (plus ein Revolverheld im Keller) eingeschlossen in einem gottverlassenen Saloon inmitten eines tosenden Schneesturms. Es ist eine klassische Pattsituation: Keiner traut dem anderen, es steht – summa summarum – ein hohes Kopfgeld auf dem Spiel und zudem ein Mordverdacht im Raum.

Der Kopfgeldjäger John »The Hangman« Ruth (Kurt Russell) hat die durchgeknallte Gangsterbraut Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) im Schlepptau, der Kopfgeldjäger und Bürgerkriegsveteran Marquis Warren (Samuel L. Jackson) einen persönlichen Brief von Abraham Lincoln im Gepäck und der Sohn (Walton Goggins) eines legendären Südstaatenrebellen soll den Sheriffposten im nahe gelegenen Red Rock übernehmen. In einem Ohrensessel sitzt ein schlechtgelaunter Konföderiertengeneral a. D. (Bruce Dern, längst überfällig für eine Tarantino-Würdigung). Es fliegen ein paar verbale Fetzen, dann zieht Oswaldo Mobray (Tim Roth), der Henker von Red Rock, eine symbolische Demarkationsline durch den Saloon: auf der einen Seite die rassistischen Südstaatler, auf der anderen die aufgeklärten Yankees, als deren Wortführer sich schnell Samuel L. Jacksons Major entpuppt. Es ist eine reife Amerika-Allegorie. Gewalt liegt in der Luft.

Tarantino hatte im Herbst selbst die Gewaltfrage aufgeworfen, als er die rassistisch motivierte Polizeibrutalität in den USA öffentlich kritisierte. In »The Hateful Eight« sagt Jackson: »Ein Schwarzer kann sich nur sicher fühlen, wenn die Weißen entwaffnet sind.« Der Brief des Präsidenten ist sozusagen seine Lebensversicherung im weißen Wilden Westen. Tim Roths Scharfrichter wiederum versucht der gesuchten Mörderin den Unterschied zwischen Zivilisation und frontier justice zu erklären: »Kühle Sachlichkeit ist die Essenz von Gerechtigkeit.« Der Film trägt diese Dialoge wie Schrifttafeln vor sich her, nur für den Fall, dass immer noch jemand glaube, der Western sei tot.

Denn natürlich ist sein zentrales Thema, die Zivilisierung des Westens, aktueller denn je. Das Problem von »The Hateful Eight« besteht nur darin, dass Tarantino in erster Linie doch ein Fanboy ist. Seine griffige Amerika-Allegorie gerät ins Stocken, weil sich immer wieder die Kulissen des Genrekinos vor die interessanteren Fragen schieben. Tarantino betreibt einen enormen Aufwand, ein historisches Genre wiederzubeleben (»The Hateful Eight« ist über drei Stunden lang, gefilmt im obsoleten Ultra-Panavison-Format, einer Art Super-Cinemascope), verliert sich dabei aber immer wieder in dessen Konventionen. Ausgerechnet Spike Lee, Tarantinos größter Kritiker, hat mit seiner für den Onlinehändler Amazon produzierten Musicalkomödie »Chi-raq« (ein Kompositum aus Chicago und Irak) gerade die schärfere Amerika-Kritik abgeliefert.

Der Titel »Chi-raq« bezieht sich auf eine offizielle Statistik, die besagt, dass in Chicago seit 2001 fast doppelt so viele Amerikaner/innen durch Schusswaffen gestorben sind wie im Irak zwischen 2003 und 2011. Chi-raq heißt auch die Hauptfigur (Nick Cannon), ein Gangsterrapper und Gangleader, der sich mit einem hormonellen Dilemma konfrontiert sieht. Seine Freundin Lysistrata (Teyonah Parris) hat einen Sexstreik unter den afroamerikanischen Frauen organisiert, um ihre Männer zu zwingen, die Waffen niederzulegen, damit das Morden in den schwarzen Vierteln ein Ende nimmt. Lees Bezugspunkt ist noch mal 2.000 Jahre älter als Tarantinos. »Chi-raq« lädt die altgriechische Komödie »Die Heeresauflöserin« aus dem Jahr 411 v. Chr. über eine Gruppe friedensbewegter Frauen im Peloponnesischen Krieg mit aktueller Brisanz auf.

Wie schon in »Bamboozled« hat Lee ein irres Format für seine Amerika-Polemik gewählt: ein HipHop-Musical, dessen Protagonisten in einem pseudoklassischen Versmaß sprechen, mit einem bizarr kostümierten Samuel L. Jackson als Mischung aus afroamerikanischer Tricksterfigur und griechischem Ein-Mann-Chor. Im Unterschied zu Tarantino, der in »The Hateful Eight« zuerst das Genre bedient, denkt Lee seine Kritik ausgehend von gesellschaftlichen Fragen. »Chi-raq« ist bei aller kruden Koketterie mit Popkulturversatzstücken ein – gerade für ein weißes Publikum – böser, wenig gefälliger Film. Tarantinos Reflexionen über die amerikanischen Gewaltverhältnisse kann man in seinem behäbigen Genre-Fossil dagegen über drei Stunden lang beim Versteinern zusehen.

Dieser Text erschien zuerst in: Konkret

Benotung des Films :

Andreas Busche
The Hateful Eight
USA 2015 - 187 min.
Regie: Quentin Tarantino - Drehbuch: Quentin Tarantino - Produktion: Richard N. Gladstein, Shannon McIntosh, Stacey Sher - Bildgestaltung: Robert Richardson - Montage: Fred Raskin - Verleih: Universum Film - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Channing Tatum, Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Walton Goggins, Jennifer Jason Leigh, Tim Roth, Zoé Bell, Michael Madsen, Bruce Dern.
Kinostart (D): 28.01.2016

DVD-Starttermin (D): 30.05.2016

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt3460252/
Foto: © Universum Film