„The Artist“ ist, das muss man sagen, ein Wohlfühlfilm. Ein Film, gegen den man nichts haben kann, weil er niemandem wehtun, sondern allen wohltun will. Das Leben jenseits des Kinosessels ist hart genug. „The Artist“ ist ein großer, unterhaltsamer Spaß, ein fantasievoller, einfallsreicher, ein augenzwinkernder Film über die Zeit, in der der Stummfilm endete und der Tonfilm begann. Der Film ist eine gelungene Demonstration dessen, wie gut man heute Filme drehen kann, die so aussehen wie von „damals“ – ein für die Kundschaft von heute übrigens quasi nicht vorhandenes Damals, weil die aktuelle Kundschaft jemals weder einen Stummfilm noch einen frühen Tonfilm gesehen hat.
„The Artist“ ist für die meisten seiner Kunden sozusagen eine Zusammenfassung dessen, was man so glaubt, was so ein Stummfilm eben so war. Ich schreibe „Kunden“, weil der Film sich in erster Linie zu verkaufen anschickt und das auch ganz gut versteht. Der Film wendet sich nicht an eine Blockbusterkundschaft, eher an jene, die von einem Kinoerlebnis auch ein wenig „Tiefgang“ und „Poesie“, in diesem Fall die Poesie der Stummfilmära, oder eben das, was man so dafür hält (gleichwohl es nicht schlecht kopiert ist), erwartet, und eben auch bekommt, jedenfalls das, was sie so glaubt, was das sein muss. Eine ziemlich strunzige Rahmengeschichte und eine Lovestory, wie sie eigentlich heutiger nicht sein könnte, weil es fast nur um Karriere(n) geht und eine ganze Menge ziemlich verspielter Gags, die keinen weiterbringen, aber das müssen sie ja auch nicht. Der Film spielt geradezu mit der Erwartungshaltung, dass Stummfilme eher unaufregend daher kommen, um aber immer wieder zu zeigen, wie sehr das nicht stimmt, weil „The Artist“ natürlich kein Stummfilm ist, sondern ein Tonfilm, der z.B. extra so tut, als wäre er ein Stummfilm, um uns mit seinem Ton zu erschrecken, und um dann mit diesem Schrecken ganz schrecklich anzugeben.
Angeben, das ist wohl das zentrale Wort: „The Artist“ ruft die ganze Zeit: „Guckt mal, wie echt unser Hauptdarsteller den Errol Flynn nachmachen kann, guckt mal, wie original unsere Hauptdarstellerin Kusshändchen werfen kann, guckt mal, wie gut wir diese angeockerte Schwarzweiß-Filmpatina hinbekommen haben. Diese permanente Hui-Angeberei, dieses dauernde Zurschaustellen seiner nostalgischen Kopierkunst und seiner ach so hinreißenden kleinen Ideen ist das, was „The Artist“ exakt mit Filmen wie „Die fabelhafte Welt der Amelíe“ gemein hat. Der Film ist ein Konglomerat aus publikumsimmanenten Klischees, Kinomythen, Nostalgiebegrifflichkeiten, aufgepowert mit aktuellen technischen Effekten, Gags, Spielereien, welche das dazu aufgelegte Publikum (und es ist sehr dazu bereit, dazu aufgelegt zu sein!) meinen lässt, verzaubert worden zu sein, in eine andere Welt entrückt worden zu sein – und das noch auf kunstvollem, stilvollem, fantasievollem Niveau. Kulturelle Glückseligkeit! Abspannapplaus! Dabei waren wir Zeugen billiger Jahrmarktstricks und die Kernhandlung von „The Artist“ ist dünn, gedehnt und auch widersprüchlich; die Figuren, und das ist vielleicht das Beste, was man über den Film sagen kann, gehen in ihrer Flachheit kaum über ihre melodramatischeren Stummfilmvorbilder hinaus, immerhin ist diese Kopie-Mission erfüllt.
„The Artist“, das muss ich sagen, ist ein Angeberfilm, und ich fühl‘ mich wohl, wenn ich das wenigstens schreiben kann, und ich rate der Kundschaft: Wenn Sie wirklich eine schöne stumme Liebesgeschichte sehen wollen: Gucken Sie sich bitte mal lieber Murnaus „Sunrise“ an.