„Tetsuo: The Bullet Man“ ist bereits der dritte Teil in Shinya Tsukamotos zu einigem Ruhm gekommener Cyberpunk-Reihe, die er 1989 mit dem furios ungestümen ersten Beitrag „Tetsuo: The Iron Man“ eröffnet hatte. Schon damals war es das Zusammenspiel aus dem Topos der Mensch-Maschinen-Metamorphose, dem industriellen Soundtrack, dem Schnittgewitter und der rasenden, anarchischen Erzählweise gewesen, die den Film sofort zum Kultobjekt gemacht hatte – also beinah eine ganze Dekade bevor Hideo Nakata mit seinem „Ringu“ (1998) das japanische J-Horror-Kino in jeden europäischen DVD-Player bugsierte und eine weitere, immer noch anhaltende Asienbegeisterung auslöste. So erschloss sich das Werk Tsukamotos vielen erst im Rückblick – was sicherlich auch ein Stück weit an der damals noch problematischen Veröffentlichungslage gelegen haben dürfte.
In „Tetsuo: The Iron Man“ war es die Verwandlung eines emotional verkrüppelten Mannes in einen riesigen, biomechanoiden, rotierenden Bohrer-Penis gewesen, der das Publikum schockierte und der außer Kontrolle geraten als transformiertes Subjekt-Objekt in der anonymen Megalopolis auf die Frau losging (ein Film, der sich als wunderbares Double-Feature zu Cronenbergs „Crash“ schauen lässt) – im „Bullet Man“ ist es nun ein Familienvater, der den Mörder seines Sohnes jagt. Neben dieser thematischen Nähe zu seinen Vorgängern ist es vor allem wieder die tsukamotosche ureigene Ästhethik, die den Film scheinbar unverkennbar macht. Ausgebleicht monochrome und metallene Bilder glatter Oberflächen einer in kalten Hochhäusern lebenden Karriereoberschicht (die sehr an die blaue Kälte in „A Snake in June“ erinnern) treffen auf pumpenden Industrie-Sound, während sich der Protagonist aus seiner menschlichen Hülle schält und zunehmend verwandelt, gepresst zwischen die Betonplatten modernen urbanen Lebens (Bilder, direkt wie aus „Haze“ übernommen), und mit einem teuflischen Gegenspieler konfrontiert wird (Tsukamoto selbst als Killer), der sich blitzschnell und komisch zugleich bewegt (siehe „Nightmare Detective“). Das ist immer noch Adrenalin pur und ein Anschlag aufs Nervenzentrum des Zuschauers, weil niemand sonst im westlich-europäischen Kulturkreis auch nur annähernd solchen Terror auf der Leinwand zu verbreiten versteht. Allerdings wirkt das alles mittlerweile zu bekannt, zu glatt, in seinem Chaos zu kalkuliert. Das ungestüme Rohe der frühen Filme Tsukamotos weicht einer perfekt ausgeleuchteten, antiseptischen Videoclipästhetik, die nur so tut, als ob. Tetsuo 2009 ist in Zellophan verpackt, kondomisiert.
So erlebt man, wenn man Tsukamotots Oeuvre in toto kennt, im „Bullet Man“ eigentlich nichts Neues: alles ist schon mal dagewesen (die paar oben genannten, offensichtlichen Verweise sollten als Eindruck reichen). Tsukamoto recycelt sich selbst. Keine neuen Ideen, keine neuen Bilder, keine neuen Sounds. Man liest, Nine Inch Nails hätten hier etwas Musik beigesteuert. Nun ja, soviel zum Undergroundstatus. Am Ende flüchtet sich der Film in die Erlösung des Familienfilms und ist damit maximal weit davon angelangt, wo der einst radikale Filmemacher begann: bei schwierigem, bisweilen arg stressigem, schnellem und körperlich angriffigem, immer herausforderndem Genrekino. „Tetsuo: The Bullet Man“ ist Mainstream in der Camouflage des Independentkinos, erschienen unter dem Deckmantel des großen Namens eines einst verlässlichen Genreregisseurs. Man soll ja nicht unken, aber der nächste Film Tsukamotos wird einiges entscheiden.