Am Ende von „Trainspotting“ (GB 1996; R: Danny Boyle) wird Junkie Mark Renton (Ewan McGregor) einer von uns. In London angekommen läuft er, eine Sporttasche voller geklautem Geld über die Schulter geworfen, zu den Klängen von Underworlds Technohit „Born Slippy“ über die Waterloo Bridge einem neuen Lebensabschnitt, einer neuen Zeit entgegen, sagt ja zum pervers großen Fernseher, der Familie, dem Auto und der Waschmaschine. Im Hintergrund liegt, vom Nebel verhangen, Londons Finanzzentrum. Schnitt auf Marks grinsendes Gesicht, das sich auf den Zuschauer zubewegt, unscharf wird und sich schlussendlich auf der Leinwand auflöst. „Trainspotting“ erzählt in seinem finalen Moment vom Ende einer Popkultur der Verweigerung und des Aufbegehrens und ist damit einer der visionärsten Filme einer vergeudeten Dekade.
Seit den Swinging Sixties gaben sich mit Beat, später Punk und bald darauf Post-Punk die alltagskulturellen Rebellionen einer nach Identität suchenden Jugend die Klinke in die Hand. War ihnen mal mehr, mal weniger auch die politische Opposition eingeschrieben, schwang im Ende der 1980er Jahre entstehenden Techno die Hingabe an den unhinterfragten Konsum bereits mit. Die Agonie der Thatcher-Reagan-Ära bekam einen monotonen Puls verpasst. Und die Rebellion – deren letzter Protagonist Kurt Cobain dem Selbstmord von vornherein nie hat entrinnen können, weil er miterleben musste, wie jede seiner Gesten vom Kapitalismus vereinnahmt und zum Klischee wurde – löste sich mit dem Fall der Mauer und der Love-Parade-Parole „Friede, Freude, Eierkuchen“ endgültig auf. Techno ist die letzte Erfindung der Popmusik und zugleich ihre Klammer, voller trauriger Beats, die in der Dunkelheit des Clubs ein Gefühl der Zusammengehörigkeit versprechen. Es ist die Musik der Vereinzelung in der Masse und des Jasagens. War das Heroin in „Trainspotting“ die letzte Gelegenheit zum Jasagen Nein zu sagen, wird Ecstasy in den 90ern die Droge der Jasager. Vollgepumpt mit Möglichkeiten und Versprechen schwappte die Welt schließlich aufgedreht und übersättigt ins 21. Jahrhundert, welches in der digitalen Revolution, den Arbeitsmarkt- und Sozialreformen und der damit begünstigten Flexibilisierung und Optimierung des Einzelnen das Jasagen endgültig kultivierte und als Imperativ in Form von „Yes, we can!“ zum Slogan verarbeitete.
Und heute? Heute bringt „T2 Trainspotting“ den unter anderem aus dieser Entwicklung resultierenden rasenden Stillstand unserer Tage mal eben in der ersten Einstellung direkt auf den Punkt. Sie zeigt Mark Renton, mittlerweile 46 Jahre alt, auf einem Laufband, dem zentralen Symbol des neuen Jahrtausends. Um ihn herum seinesgleichen. Selbstbespiegelung der Optimierungswilligen im Hamsterrad der Fitnesshölle. Laufen auf der Stelle. Ein körperlicher Zusammenbruch und anschließende Erinnerungen veranlassen Mark zu einer Reise in die Heimat. Dort hat sich scheinbar nicht viel getan, was Regisseur Danny Boyle zur Wiederholung der Ereignisse inspiriert. Mit geklautem Geld ist Mark ins neue Jahrtausend gestartet. Das konnte nicht gut gehen. Und nicht nur die Bankenkrise bestätigt dies. Am Anfang stand eine Möglichkeit, am Ende der Verrat. Darum geht es auch in Teil zwei wieder. Diesmal wird die EU mit ebenjenem lockerflockig instrumentalisierten „Yes, we can!“ aus Marks noch immer so schelmisch grinsenden Gesicht um Fördergelder gebracht. Konstant rekurriert die Erzählung dabei auf den ersten Teil, auf die sprichwörtlichen Schatten der Vergangenheit. Von der Verfolgungsjagd durch die Straßen über den Showdown mit Begbie werden die alten Konflikte nahtlos wieder aufgenommen, ganz so, als hätte es die vergangenen 20 Jahre nie gegeben. War „Trainspotting“ radikal in die Zukunft gedacht, dreht Doyle die Bewegungsrichtung in „T2“ kurzerhand um und lädt das Publikum zur Reflexion über den eigenen Lebensentwurf und -verlauf ein.
Für „Sick Boy“, Mark, „Spud“ und Begbie ist die Sache klar. Alle Möglichkeiten sind Versprechen geblieben. Das Jasagen hat nichts genützt. Viagra wird zur härtesten Droge und das Surreale aus dem ersten Teil ist verschwunden. Der Drogenkonsum und der Preis, den es im Gegenzug zu zahlen galt, bekommen keine exstatischen und miteinander konkurrierenden, sondern nur noch blasse Bilder aus der Vergangenheit zugeschrieben. „You’re a tourist in your own youth“, belehrt Simon seinen Kumpel Mark, als sie einen Ausflug an einen altbekannten Ort machen und verlassen am Bahnsteig stehen. Die grässliche Nüchternheit nach einer durchzechten Nacht, Enttäuschung und ein Gefühl der Erschöpfung im Angesicht der „politischen und kulturellen Sterilität“ (Mark Fisher) unserer Tage bilden in „T2“ die treibende Kraft. Ab und an drängt „Born Slippy“ unscharf aus der Erinnerung dazwischen, mahnt an die Möglichkeiten, die zum Verrat wurden, weil sich Fortschritt heute mit Repetition, Upgrade und Update begnügt.
„T2“, dessen verkürzter Titel bereits offensiv mit der Lücke als Leere spielt, erzählt Geschichte als beständige Wiederholung des Immergleichen in minimal abgewandelter Form, weshalb die neuen Musikstücke, die Doyle in den Film einbindet, wie die alten klingen. „High Contrast“, „Fat White Family“, „Wolf Alice“ könnten in ihrer Einförmigkeit, in ihrer feigen Anbiederung an die Vergangenheit genauso gut aus einer Playlist der 80er oder 90er Jahre stammen, zu denen heute auf jeder Geburtstagsfeier ausgelassen getanzt wird, während in der Küche nebenan wie selbstverständlich gekokst wird. Großartig deshalb die Szene, in der die alte Junkiegang im Club zugedröhnt zu Queen tanzt, die das Radio besingen. Ringsherum nur Kids, die Radios wahrscheinlich bloß noch als Relikte längst vergangener Tage wahrnehmen und keine Verbindung zu der Musik haben, die da gespielt wird. Aber mitsingen können sie alle. Alles fließt hier ineinander.
Nur am Schluss wird es noch einmal surreal, wenn Mark sich von uns verabschiedet. Diesmal geht er jedoch nicht auf uns zu, sondern entfernt sich mit rasender Geschwindigkeit, verloren im Schwarz der Leinwand. Renton’s coming home, is coming home, die Enttäuschung darüber, dass nichts so geworden ist, wie es hätte sein können, umarmend. Am Ende steht der Verrat.