Die Synekdoche ist eine rhetorische Figur, die bezeichnet, wie ein Begriff „durch einen engeren oder weiteren Begriff (z.B. Kiel für Schiff)“ (Duden Fremdwörterbuch, Mannheim 1982) ersetzt wird. Synonym oder pars pro toto sind Sonderfälle der Synekdoche, die allgemein austauschbare Worte aus derselben semantischen Familie beschreiben. Worte in einem Text können so referenziert werden, ohne sie zu wiederholen und um sie unterschiedlichen semantischen Kontexten zu übergeben. Synekdochen sind in der Sprache, was in einer von physischen Objekten bevölkerten Welt Doppelgänger und Spiegelungen darstellen, Multiplikatoren einer Spaltung zwischen Begriff und Objekt, in der die Realität als Ambiguität der Sprache gegenüber den Objekten und Wirklichkeiten, als Ambivalenz der Wahrnehmung, als unendliche Uneindeutigkeit von Narrativen erfahren werden kann.
Im Englischen wird „Synecdoche“ wie [sɪnˈekdəki] ausgesprochen, was eine phonetische Ähnlichkeit zu Schenectady [skɪˈnɛktədi] im Bundestaat New York hat, wo Charlie Kaufmans Film „Synecdoche, New York“ beginnt. Das erste Regieprojekt des ungemein talentierten und ideenreichen Drehbuchautors von Klassikern wie „Being John Malkovich“, „Adaption“ und „Eternal Sunshine of a Spotless Mind“ war bei seinem Erscheinen ein totaler Misserfolg an der Kinokasse und schaffte es bis auf einige Screenings bei renommierten Filmfestivals nicht in die Programmkinos Europas. Es gibt soweit ich weiß auch keine deutsche Synchronisation. Am sinnvollsten ist es, den Film mit englischen Untertiteln zu sehen, denn er erfordert eine wache Aufmerksamkeit, die bei traditionell mit Originalton gedrehten amerikanischen Filmen notwendig ist, wenn Schauspielerinnen und Schauspieler ganze Sätze verschlucken.
Der Theaterregisseur Caden Cotard, den der 2014 viel zu früh verstorbene Phillip Seymour Hoffman in gewohnt präziser Art darstellt, müht sich mit kleinen Inszenierungen von „Death of a Salesman“ an einem lokalen Theater ab. Seine Ehe mit der Miniaturmalerin Adele (Catherine Keener) ist von Beginn an in der Krise. Ihre gemeinsame vier Jahre alte Tochter Olive hat Angststörungen, während er rätselhafte Pustel auf der Haut entwickelt und unempathische Ärzte ihn über die Natur seines Leidens im Dunklen halten. Die Kartenverkäuferin Hazel (Samantha Morton), die im Theater arbeitet macht ihm Avancen, denen er anfangs noch widerstehen kann, bis seine Frau Adele mit Olive nach Berlin reist, um dort ihre Bilder auszustellen. Spätestens jetzt, nach etwa 30 Minuten kippt der Film von einer präzisen Milieuschilderung mit starken Charakteren in etwas völlig anderes. Es ist ungewiss, ob die Ereignisse, die jetzt stattfinden (oder auch die sich zuvor ereignet haben) einzig und allein Cadens eigenen Phantasien entspringen, ob sie von einer äußeren Realität gesteuert werden oder ob sich beides ständig vermischt. Auch der Schluss löst diese Frage nicht auf, sondern verknüpft Traumhaftes, Reales und Subjektives unerkennbar miteinander, macht alle Grenzen unkenntlich und verwirft jede lineare Erfahrung der Zeit. Kaufman inszeniert sein Regiedebut zwar sehr konventionell und hält die Regeln von Totale, Halbtotale, Close-up und Schuss, Gegenschuss, mit dem Schnitt entlang der Achsen gekonnt ein, verwirrt die Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer aber durch raffinierte Details in den Dialogen, die die Perspektive Cadens mehrfach brechen und zum Teil völlig auf den Kopf stellen. Zeit und Abfolge der einzelnen Ereignisse sind nicht mehr genau auszumachen, wenn Caden und Hazel gemeinsam in einem Lokal sitzen und Caden davon redet, dass Adele und Olive erst eine Woche weg wären, aber Hazel frustriert anmerkt, dass seine Frau ihn bereits vor einem Jahr verlassen hätte. Solchen Ungereimtheiten wird man im Lauf des Films noch öfter begegnen. Obwohl Caden im Zentrum des Films steht, verwirrt Kaufman sein Publikum mit anderen Sequenzen, die auch in Luis Bunuels „L‘age d’or“ hätten passieren können und die auch als Hinweise zu verstehen sind, dass es nicht Cadens Traum ist, sondern der einer anderen Person. Hazel etwa zieht in ein Haus, in dem es ständig brennt, und heiratet den Sohn der Maklerin, Derek, der bereits im Keller lebt. An einer anderen Stelle des Films erzählt sie Caden, den sie zufällig auf der Straße trifft, dass sie drei Söhne mit Derek hat, nachdem wir sie unmittelbar zuvor bei einem missglückten sexuellen Erlebnis beobachtet haben.
Caden erhält die Chance ein subventioniertes Theaterprojekt in einer riesigen Halle in New York umzusetzen, bei dem er alle seine Visionen von Wahrheit und Ehrlichkeit menschlichen Dramas realisieren kann, aber wie Fellinis Guido in „8 ½ “ verzettelt er sich in den Untiefen seiner eigenen Psyche und das Theaterstück wird ein Drama über das Erfinden, Proben und Scheitern des Theatermachens selbst. Cadens Scheitern im Leben und seine verwirrend unklaren Beziehungsangebote an die Frauen, mit denen er seine Zeit verbringt, werden immer neu inszeniert, mit anderen Schauspielern und Charakteren verknüpft, die oft gleiche Szenen mit weiteren Doppelgängern ausprobieren, ohne zu einem definitiven Ende zu kommen. Welch gewaltige Vision Caden da eigentlich realisiert, lässt sich nur anhand bestimmter Dialogsequenzen für ein staunendes Publikum rekonstruieren. An einer Stelle fragen ihn seine unzähligen Darstellerinnen und Darsteller, die in den gewaltigen Bühnenbauten fast verschwinden, wann endlich das Publikum eingelassen würde, immerhin seien sie schon 17 Jahre mit diesem Projekt beschäftigt.
Es gehört zu faszinierendsten Aspekten des Films wie Kaufman virtuos die Wahrnehmung von Zeit im Film persifliert und aus simplen Dialogzeilen heraus die Zuschauerinnen und Zuschauer verwirrt, die aus der Kinoerfahrung gelernt haben lineare Ereignisserien aus den Schnittfolgen heraus zu lesen. Das Theater als Synekdoche für das Leben selbst wird dadurch zum Zentrum des Films, in dem Caden Titel um Titel für sein Projekt sucht und einen nach dem anderen verwirft. Einer dieser verworfenen Titel ist „Simulacrum“, eine Anspielung auf Baudrillard, der Luis Borges Erzählung „Von der Strenge der Wissenschaft“ mit diesem Begriff analysiert hat. Borges Geschichte handelt von einer fiktiven Gesellschaft, die Karten im Maßstab 1:1 von sich selbst fertigt, so dass wie es bei Borges heißt „die Karte einer einzigen Provinz den Raum einer Stadt einnahm und die Karte des Reiches den einer Provinz“.
Während Caden eine zweite Ehe mit der Schauspielerin Claire (Michelle Williams) und einer weiteren Tochter Ariel zu führen scheint, sucht er nach seiner ersten Tochter Olive in Berlin, die er immer noch für ein vier jähriges Mädchen hält, während sie von der Lebensgefährtin Adeles, Maria, (Jennifer Jason Leigh) als 11 jährige bezeichnet wird. Olive soll als voll tätowierte Künstlerin in einer Peepshow aufgetreten sein, aber sie erkennt Caden nicht, als er solch eine junge Frau durch die Glaswand anspricht. Olive, diesmal als Erwachsene von Robin Weigert verkörpert taucht später noch einmal auf, als Caden an ihrem Sterbebett erscheint, und sie ihn auf Deutsch dazu bringen will, sie dafür um Verzeihung zu bitten, sie und ihre Mutter wegen einer homosexuellen Liebschaft namens Eric verlassen zu haben. Die Tatsache, dass Olive eine solche Behauptung machen kann, bleibt geheimnisvoll. Weder taucht in der Erzählung eine solche Figur auf, noch spielt Homosexualität in Cadens Leben eine Rolle. Wieder werden verschiedene Ebenen von Kaufman geschickt gegen einander ausgespielt. Ist der Vorwurf, dass Caden mit einem gewissen Eric Analsex haben wollte und darum seine Frau und Tochter verlassen hat, eine üble Verleumdung Adeles, um ihre Tochter zu manipulieren oder hat Caden diesen Teil der Geschichte einfach ausgeblendet und verdrängt, um sich mit der Schuld nicht konfrontieren zu müssen? Wir erfahren es nicht und die Frage bleibt unbeantwortet, auch als Caden das Narrativ ohne zu zögern akzeptiert und Olive um Verzeihung für diesen Fehltritt bittet, aber Olive mit der Weigerung ihm zu vergeben stirbt.
Caden arbeitet weiter an seinem Theaterprojekt, in dem New York in Miniaturform nochmals aufgebaut wird und Szenen aus seinem „realen“ Leben als inszenierte Dialoge auf der Bühne nachgestellt werden. Sammy (Tom Noonan), der Caden nach eigenen Angaben über zwanzig Jahre gefolgt ist und jeden seiner Charakterzüge kennt, entwickelt sich zu einem eigenen Caden, der dessen Schwächen und Phantasien radikalisiert. Als Sammy Selbstmord begeht, übernimmt Ellen Bascomb (Dianne Wiest) Sammys Rolle und fügt der Figur ihre ganz eigene Dimension hinzu. Alle Figuren, sind Doppelgänger und Spiegelungen, und mutieren zu menschlichen Synekdochen, die das komplexe Geflecht der Persönlichkeiten multiplizieren. Anstatt seine Probleme im realen Leben zu lösen, vervielfacht Caden sie auf einer Theaterbühne. „Wir sind viele!“, wie Deleuze und Guattari sagen. Jeder neue Mensch ersetzt nicht den alten, sondern überträgt die Ambiguität des Begriffs auf die menschliche Persönlichkeit, in der jede Figur eine ganz bestimmte Ausprägung der Person repräsentiert. Diese Verdopplungen und Spiegelungen sind vielleicht die größte Leistung dieses wunderbaren Films, der eine Geschichte anbietet, die man auf unzählige Weisen verstehen kann und Raum für eine unendliche Menge an Interpretationen liefert, ohne die narrative Ebene selbst zu verlassen. Vom Satz „E pluribus unum“ haben Deleuze und Guattari übrigens einmal geschrieben haben, dass es jenes Prinzip sei, auf das wir alle hinarbeiten würden.
Es kann nicht anders sein, als dass die Lösung für Cadens Probleme der Tod ist. Die letzten Stunden seines Lebens erhält er Regieanweisungen durch ein Mikrophon im Ohr von einer unbekannten Frauenstimme. Caden ist schließlich selbst in seinem eigenen Theaterstück vollkommen aufgegangen und verschwindet in einer langen Weißblende an der Schulter einer Frau, der er gerade erst begegnet ist, inmitten einer anonymen Katastrophe, die den gesamten Theaterraum in ein Schlachtfeld verwandelt hat.
Obwohl die Parallelen zu Fellinis „8 ½“ unverkennbar sind, und Kaufman an mehreren Stellen ironisch auf dieses Vorbild verweist, ist „Synecdoche, New York“ eine völlig eigenständige Arbeit über das Drama eines Künstlers, der seine zerrissene Selbstzentriertheit zwar künstlerisch auszudrücken vermag, darin jedoch keine Erlösung findet, sondern sich im Gegenteil unrettbar in seinen eigenen Inszenierungen verirrt. In einer Rezension des Blogs „Kein Blut, Rot!“ heißt es darum folgerichtig: „Anders als erhofft, gibt Kunst keineswegs dem Leben eine Bedeutung und hilft auch nicht, es zu verstehen. Sie lenkt bloß davon ab, zu leben.“
Während Fellini dem Scheitern eine positive Dimension abgewinnen kann, immerhin kann Guido zum Schluss von „8 ½“ seiner Frau Luisa zuflüstern: „Das Leben ist ein Fest, lass es uns gemeinsam erleben!“, bekommt Caden im Zeitalter der postmodernen Unübersichtlichkeit diese Möglichkeit nicht mehr. Warum das so sein muss, ist zwar schwer zu beantworten, aber vielleicht liegt die Distanz, die „8 ½“ von „Synecdoche, New York“ trennt darin, dass Fellini in einer Zeit lebte als man es noch für möglich hielt, dass das Leben und die Kunst miteinander vereint werden können. Wenn man Niklas Luhmann folgen will ist unsere gesamte Kultur eine Serie von „Beobachtungen zweiter Ordnung“, also Beobachtungen und Verarbeitungen anderer Beobachtungen, in denen sich Sprache und Zivilisation als Codierung der Tradition und Referenz auf ältere Artefakte realisiert. In diesem Sinn ist Kunst keine Antwort auf ein Problem, sondern eine Spiegelung und Verdopplung desselben Problems, mithin ist ein Kunstwerk stets eine Repräsentation anderer Kunstwerke. Kaufmans Film macht auf seine eigene Art und Weise deutlich, dass das Leben und die Kunst niemals als Identität gedacht werden können, auch wenn diese Utopie höchst reizvoll erscheint. Kaufmans Alter Ego Caden kann von solch einer Utopie, wie sie Fellini noch für möglich hielt, nicht mehr ausgehen, geschweige denn zu ihr zurückkehren. Ob man mit dieser Erkenntnis unglücklich wird oder aus ihr einen anderen, positiven Schluss ziehen kann, ist eine der vielen Entscheidungen, die Kaufman uns selbst überlässt.